Italien 2015 der Länge nach

In dem großen dreiwöchigen Urlaub dieses Jahres wollten wir nun die Süditalienfahrt nachholen, die wir letztes Jahr im Frühjahr leider nicht geschafft hatten. Da die Deutsche Bahn inzwischen sehr erfolgreich daran arbeitet, die Autoreisezüge abzuschaffen, musste diesmal die ganze Strecke auf eigenen Reifen zurückgelegt werden. Trotzdem wollten wir wieder versuchen, den äußersten Süden des italienischen Festlandes zu erreichen.

Inzwischen haben wir es aber tatsächlich geschafft, uns ein neues Navigationsgerät (Tomtom Rider 400) zuzulegen. Dieses war allerdings noch so neu und die darin eingebettete Software so anders, dass wir damit sicher noch etwas experimentieren mussten, bevor das alles so reibungslos läuft.

Fr, 28.08.2015

Auch Deutschland ist schön Für die erste Etappe nach Karlsruhe (wo wir das Wochenende wieder mal bei der Familie von Ulrikes Schwester verbringen wollten) hatten wir eine Strecke in Petto, die sich schon mehrfach bewährt hat. Die führte uns zunächst per Autobahn nach Rinteln, wo es anfängt, landschaftlich interessant zu werden. Dort ging es auf Bundesstraßen weiter durch das Extertal, am Edersee vorbei nach Marburg. Von da an ging es wieder weiter auf der Autobahn, denn wir verspüren grundsätzlich wenig Neigung, uns durch die Stadtgebiete in und um Frankfurt zu kämpfen.

Heute jedoch schien es fraglich, ob wir damit so unbedingt die bessere Wahl getroffen hatten, denn zwischen Frankfurt und dem Kreuz Walldorf hatten wir fast durchgängig zähfließenden Verkehr mit zeitweiligem Stau, der dann auch noch mit leichtem Regen garniert wurde. Ulrike, die mit dem neuen Navi am Lenker vorwegfuhr, gelang es dabei durch zwei, drei geschickt unvorhersehbar ausgeführte Spurwechsel, denen ich nicht sofort folgen konnte, aus meinem Blickfeld zu verschwinden. Als es dann endlich wieder etwas flüssiger lief, bin ich eine Weile lang gefahren wie ein Besengter, um sie wieder einzuholen. Gerade als ich dachte "Jetzt habe ich keinen Bock mehr" und mich seelisch darauf einstellte, mich dann wohl ohne Navi und Stadtplan in Karlsruhe zurechtfinden zu müssen, war sie dann plötzlich doch da, der Regen hörte auch auf, und alles wurde gut. Nur unsere anvisierte Ankunftszeit von 1800 Uhr wurde um ein akademisches Viertelstündchen überschritten.

Tagesstrecke 653 km, km 41337, los bei km 40684

Sa, 29.08.2015

Wie immer, wenn wir hier waren, wurden wir morgens gegen 700 Uhr geweckt von zwei Kindern, die in unser Zimmer stürmten und etwas vorgelesen haben wollten. Nun ja, ab Dienstag würden wir dann selbst bestimmen können, wann Aufstehenszeit sein sollte. Und da der ältere meiner beiden Neffen am späten Vormittag zu einer einwöchigen Reise abgeholt wurde (hier hatte die Schule noch nicht wieder begonnen), wurde es umso wahrscheinlicher, dass morgen und Montag nicht mit morgendlicher Ruhe zu rechnen war.

Teurer Pavillon in Karlsruhe Wir anderen sattelten einen Schwung Fahrräder und fuhren in den Schlosspark. Hier sind wir zunächst eine Runde mit einer Bimmelbahn gefahren (dem jüngeren, noch nicht schulpflichtigen Kind musste ja etwas Action geboten werden), dann wurde auf einer Wiese im Schatten gepicknickt. Zur Zeit fand hier die Feier zum 300jährigen Bestehen der Stadt Karlsruhe statt, dazu hatte man hier eigens einen Pavillon aufgebaut. Der sollte mehr als eine Million Euro gekostet haben und nach Ende der Feier gleich wieder abgerissen werden (meiner Meinung nach immer noch das Beste, was man aus ästhetischer Sicht damit würde machen können). Immerhin hatten sie darin einen kleinen Flohmarkt aufgebaut, und ich kann ja selten an sowas vorbeigehen, ohne mir die Bücherstände genauer anzugucken. Tatsächlich wurde ich fündig [3], und da wir unsere Exilhamburger mit Franzbrötchen aus der Heimat versorgt hatten, hatte ich etwas Platz im Koffer und konnte zuschlagen.

Neben der Vorderseite des Karlsruher Schlosses gab es noch eine Bierbörse zu durchstreifen mit Ständen von Brauereien aus alle Herren Länder, auch welche aus Mexiko und Singapur waren dabei. Zwar gab es ganz kleine Gläser von 0,1 L zum Verkosten (ProBIERglas, auch "Mickymaus" genannt), angesichts der aktuellen Temperaturen von über 30 °C hielten wir es jedoch für keine gute Idee, davon allzu reichlich Gebrauch zu machen. Aber das "Dubbel" (= "Doppel", ein Starkbier) der belgischen Brauerei Grimbergen schmeckte uns sehr gut.

Auf der Rückfahrt wurde der Ausflug noch mit einem Eisdielenbesuch gebührend abgeschlossen, bevor wir uns wieder in die dank ihrer Rollläden nicht allzu sehr aufgeheizte Wohnung unserer Gastgeber zurückzogen.

Tagesstrecke 0 km (mit dem Motorrad)

So, 30.08.2015

Für heute waren noch heißere Temperaturen angesagt als für gestern, da hielten wir es für einen guten Plan, den Tag auf dem Altrheinarm beim Kanuvereinshaus unserer Gastgeber zu verbringen. Dazu mussten wir zwar zuerst wieder 12 km Fahrrad fahren (wir konnten uns für solche Touren immer Räder von den Nachbarn ausleihen), aber auch das war sehr schön, führte die Route dorthin doch überwiegend durch Grünanlagen und entlang eines Bachlaufes, deren Bäume viel Schatten spendeten. Auch das Gewässer lag in einem alten Auwald, wo wir uns nur selten der prallen Sonne aussetzen mussten. Mein kleiner Neffe kam in ein Kinderboot und wurde die meiste Zeit gezogen, paddelte aber teilweise auch selbst und machte dabei seine Sache gemessen an seinen gerade mal fünf Lenzen echt hervorragend.

Am Ende des Armes wurde wieder gepicknickt und diesmal auch gebadet, im Falle meines Neffen, der hier viel mit dem kleinen Boot üben konnte, nicht ganz freiwillig. Aber dank festsitzender Schwimmweste und unmittelbarer Anwesenheit mehrerer Erwachsener steckte er das ganz locker weg. Als das dann auf dem Rückweg gleich noch einmal passierte, war die "Rettung" dann beinahe schon Routine. Und am Abend war das Kind dann hinreichend erschöpft, dass es uns (ok, hauptsächlich natürlich seinen Eltern) beim Schlafengehen keine nennenswerten Schwierigkeiten bereitete.

Tagesstrecke 0 km (mit dem Motorrad)

Mo, 31.08.2015

Da unsere Gastgeber heute wieder arbeiten mussten, bedeutete das auch für uns frühen Aufbruch. Aber die Wettervorhersage versprach für den Abend Regen in den Nordalpen, da war es uns ganz recht, so konnten wir versuchen, recht weit nach Süden zu kommen und dem vielleicht auf diese Weise zu entgehen.

Auf der Schwarzwaldhochstraße Als erstes führte uns unsere Route über die Schwarzwaldhochstraße. Ulrike meinte, sie wollte diese Strecke nun endlich einmal ohne Regen befahren. In meiner Erinnerung war das zwar eigentlich nicht ganz so schlimm, vielleicht täusche ich mich da aber auch. Auf alle Fälle ist uns das heute richtig gut gelungen. Zwar war der Himmel leicht diesig und die Sicht auf die Vogesen auf der anderen Seite deshalb leicht verschwommen, aber wir hatten blauen Himmel, und es versprach, noch einmal ein richtig heißer Tag zu werden. Und um 9 Uhr in der Frühe hatten wir die Route noch beinahe für uns. Berufsverkehr fand im Prinzip nicht statt, und die ganzen Touristen trieben sich noch nicht hier, sondern wohl noch am Frühstücksbüffet herum.

Und auch im weiteren Verlauf zeigten sich Schwarzwald und Schwäbische Alb von ihrer besten Seite: Schöne Landschaft, wenig Verkehr. Irgendwann überquerten wir die Donau (diesen Strom verbinde ich ja eigentlich mit ganz anderen Regionen, aber er entspringt halt auch in dieser Gegend) und nach der Schweizer Grenze auch den Rhein.

Die Schweiz ist richtig schön Die Schweiz ist ein sehr schönes Land. Wir sahen massenweise beinahe leuchtend grüne Wiesen, auf denen einzelne Hütten äußerst pittoresk verteilt waren, zwischen den Bergen. Und das ging so eine ganze Weile, wenn wir auch zwischendurch gewahr wurden, dass wir inzwischen auch schon Liechtenstein erreicht hatten. Das allerdings merkten wir eigentlich nur daran, dass wir ein Ortsschild passierten, auf dem der Name "Vaduz" stand. Dort ging es aber nur kurz durch ein paar Randbezirke und dann wieder hinaus, auf der anderen Seite wurde die Grenze immerhin durch ein Schild kenntlich gemacht. Zwischen der Grenze und dem Ort Maienfeld lag auf einer kleinen Passhöhe eine interessante Anlage, die einst eine Militärbastion gewesen zu sein schien (davon zeugte unter anderem auch ein Straßenschild "Waffenplatz"), inzwischen aber hauptsächlich ein Restaurant beherbergte. Und unsere Straße führte am Ein- wie am Ausgang durch je ein Mauerportal mit Rundbogen.

In der Stadt Chur wurde uns der Gegensatz zu der morgendlichen Leere auf der Schwarzwaldhochstraße geboten - es gab Stau. Schuld daran war der Montagabend-Feierabendverkehr sowie rund ein Dutzend Kreisverkehre. Diese funktionieren nämlich nicht mehr, wenn aus einer Richtung ständig und ununterbrochen Fahrzeuge darauf- und nicht sofort wieder herunterfahren, dann müssen die nächsten nämlich fast bis zum Sankt-Nimmerleinstag warten, und das bekamen wir nun deutlich zu spüren.

In Laax hielten wir am Seehof, und Ulrike ging hinein, um nach einem Zimmer zu fragten. Sie kam mit dem Schlüssel zurück und den Worten: "Irgendwo im letzten Tunnel müssen wir eine Sprachgrenze überquert haben. Ich habe mir eben einen eingefangen, weil ich nicht zurückgegrüßt habe."

"Hast du ihm mit 'Moin' geantwortet?"

"Ich habe ihn gar nicht erst verstanden."

Auf der Speisekarte jedenfalls war die Geschichte des Hauses neben Deutsch auch noch in einer Sprache dargelegt, die ich für Rätoromanisch hielt, jedenfalls definitiv in keiner Sprache, die ich irgendwie kannte. Und der Wirt unterhielt sich mit Gästen, die offenbar aus dem Ort stammten, in einem ähnlichen, nämlich allenfalls entfernt nach Italienisch klingenden Idiom.

Tagesstrecke 469 km, km 41806

Di, 01.09.2015

Heute früh kamen wir zwar nicht vor 8, aber immerhin gegen 900 Uhr los, der Himmel zeigte nur ein paar Schleierwolken. Und gleich nach den Verlassen des Ortes bot sich uns ein äußerst schöner Ausblick von der Straße links ins Tal, allerdings war ich zu faul, schon jetzt gleich wieder anzuhalten und Fotos zu machen.

Aber wir kamen natürlich auch weiterhin durch tolle Gegenden. Irgendwann ging es auch richtig hoch in die Berge und über einen Pass, und ich konnte mich zusätzlich zu den Anblicken der Umgebung auch an dem Geräusch meines Motorrades ergötzen. Ich fuhr nämlich mit Reifen, die ein etwas gröberes Profil hatten (Heidenau K60 Sport), und diese brummten inzwischen (sie waren schon recht weit abgefahren, nach dieser Tour würde es zumindest hinten einen neuen geben müssen) doch ziemlich. Nicht so sehr bei Geradeausfahrt, der Hinterreifen hatte in der Mitte einen durchgehenden Steg, aber sobald ich etwas in Schräglage geriet, ging das los. Natürlich wartete die Straße hier mit einer Kurve nach der anderen auf, und das Brummen wurde noch verstärkt, wenn sich rechts neben mir eine Mauer oder Felswand befand, und auch davon gab es hier reichlich.

Nicht weit von der italienischen Grenze, man konnte den Lago Maggiore links schon sehen, führte die Straße in einen längeren Tunnel. Und darin herrschte plötzlich eine skurril anmutende unwirklich hohe Temperatur. Das erschien mir wärmer als alles, was wir gestern im Laufe des Tages so erlebt hatten, und mein Bordthermometer (welches zwar bekanntlich nicht die Außen- sondern die Motoransaugtemperatur anzeigt, aber immerhin) kletterte ruckzuck auf 34 °C. Und dann kam, was uns gerade noch gefehlt hatte - Stau! Zum Glück ging das nicht allzu lange. Am Ausgang stand ein Polizeiwagen und versperrte die Abbiegerspur, und zwei Männer mit Maschinenpistolen in der Hand standen da und guckten sich alle der im Schritttempo vorbeifahrenden Wagen genau an.

Geschlossene Grenze Im nächsten Tunnel war die Temperatur auch wieder normal, und wir konnten langsam wieder abkühlen. Dann folgte zunächst eine Baustellenampel (schon am Seeufer) und dann ein Stau, der so aussah, als würde er sich nicht so schnell wieder auflösen. Wir fuhren links daran vorbei (wir waren ja schon fast in Italien, wo das bekanntlich für Zweiradfahrer so üblich ist), das ging um etliche Biegungen hin und her am Seeufer entlang, dann kamen wir vorne an und standen an der Grenze. Und die war offenbar geschlossen. Jedenfalls standen da wieder quergeparkte Autos und Uniformierte mit Maschinenpistole. Offenbar mussten wir nun wohl warten, bis sie gefunden hatten, wen oder was auch immer sie da hinten am Tunnel gesucht hatten. Zu allem Überfluss fing es jetzt auch noch an, ganz leicht zu tröpfeln. Wir guckten uns schon mal nach einem Dach zum Unterstellen um (und es gab da eines) und klönschnackten mit den Insassen des Autos neben uns (mit Kennzeichen aus Calw). Und nach etwa 20 Minuten ging es tatsächlich weiter. Zunächst jedenfalls. Denn 5 Wagen vor uns hielt ein Auto bei den Grenzern an, und der Fahrer fing an, mit dem einen davon zu diskutieren. Dann aber machte dessen Kollege eine Handbewegung, der man ihre Bedeutung auch auf die relativ weite Entfernung ganz deutlich ansah: "Halt den Sabbel und fahr' zu!", und auch wir konnten endlich nach Italien einreisen.

Der leichte Regen begleitete uns noch die ganze Strecke am See entlang, war aber nicht genug, um uns zum Anziehen der Regensachen zu bewegen.

Zum Durchqueren der Po-Ebene ist es Ulrike gelungen, eine Route zu finden, die sich einigermaßen zügig fahren ließ und nicht übermäßig viele Ortschaften durchquerte. In diesen Ortschaften jedoch fiel mir auf, dass sie eine Weile lang sehr regelmäßig stets mit 3 stationären Blitzern bestückt waren: Einer am Eingang, einer in der Ortsmitte und einer am Ortsausgang. Der Po führte, sicherlich in Folge des langen Sommers, so gut wie kein Wasser. Kajakfahren wäre vielleicht noch möglich gewesen, reguläre Schifffahrt auf keinen Fall. Auf der anderen Seite tauchten wir dann recht bald in die Hügel des Piemont ein, und das Fahren wurde wieder interessanter.

Schließlich erreichten wir das Agriturismo Gallo, wo wir nun schon mehrfach gewesen sind, hauptsächlich des guten Essens wegen. Die Juniorchefin erkannte uns auch wieder, meine beim letzten Besuch versehentlich mitgenommenen und von Hamburg per Post geschickten Schlüssel waren angekommen, also durften wir noch einmal für zwei Nächte einchecken.

Und das Essen war mal wieder Klasse. Es gab: Als Antipasti zwei Sorten Salami sowie Tomate mit Kräuter-Creme, als ersten Gang Pasta mit Trüffeln, dann Kaninchen mit sehr würzigen Röstkartoffeln, zum Nachtisch Panna Cotta und eine Grappa als krönenden Abschluss.

Ulrike sagte: "Nach diesem Urlaub habe ich bestimmt 5 Kilo zugenommen."

"Deine Bandita wird dich auch damit bestimmt noch auf mehr als 90 km/h beschleunigen." (Mehr als 90 km/h darf man in Italien auf Landstraßen nicht fahren)

"Es geht mir dabei nicht um mein Motorrad, sondern um meine Hose!"

"Aber deine Hose soll dich nicht beschleunigen."

"Nein, aber sie soll noch zugehen, und dann auch zu bleiben. Es wäre nicht schön, wenn meine Hose die Knöpfe auch nur auf annähernd 90 km/h beschleunigen würde."

Tagesstrecke 417 km, km 42223

Mi, 02.09.2015

Kurvenreiche Strecke im Piemont Da wir heute Abend ja wieder hierher zurückkommen würden, wurde als erstes Wäsche gewaschen, die konnte in der Zwischenzeit dann schön trocknen. Dann wollten wir einmal die Funktion "Kurvenreiche Strecke" testen, die unser neues Navi jetzt anbot, das alte Gerät kannte so etwas nicht. Und unsere Erwartungen wurde in gewisser Weise grandios übertroffen. Ich fahre ja gerne kleine Straßen, meinetwegen auch mit nicht viel mehr Platz als für einen PKW, aber nicht mehr mit mehr als 15% Steigung und dabei dann noch Spitzkehren, für die man definitiv den ersten Gang braucht und damit immer noch nicht genau sagen kann, ob man da in einem Schwung rumkommt, weil man das Ding von unten einfach nicht einsehen kann. So haben wir das Experiment während der zweiten solchen Straße abgebrochen, das eignet sich wohl doch eher für Gegenden, in denen man Kurven etwas mehr suchen muss. Die Strecken, die uns das Navi dann noch regulär anbot, waren kurvenreich genug, ließen sich aber hinreichend schnell fahren, dass dabei nicht auch noch Hitzestau eintrat.

Zwischendurch mussten wir auch noch ein paar Dinge einkaufen. Zum einen brauchten wir neue Pausenkekse, aber viel wichtiger war eine Straßenkarte. Die hatte ich nämlich über der ganzen Beschäftigung mit dem nagelneuen Navi glatt vergessen, einzupacken. Nun gut, auf diese Weise waren wir zwar gezwungen, unseren guten Vorsatz von der Frühjahrstour zu verwirklichen, nämlich uns öfters mal aktuelles Kartenmaterial zu gönnen, aber dazu mussten wir erst einmal eine bekommen. Und das erwies sich als gar nicht so einfach. Zunächst probieren wir etliche Tankstellen, aber ohne Erfolg. Dann suchten wir in der Stadt Alba einen Riesen-Mega-Supermarkt auf, diese Sorte, bei der das Parkhaus über mehrere Etagen geht und die eine eigene Bücher-, Elektronik- und was-weiß-ich-was-sonst-noch-so-alles-Abteilung hat, aber auch hier Fehlanzeige. Am Informationstresen wurde mir geraten, es in einer Cartoleria zu versuchen. Von unserem Navigationsgerät (dem alten wie dem neuen) kann man sich zwar zum nächstgelegenen Hotel, Restaurant usw. führen lassen, aber diese Sorte Geschäft gab es darin nicht. Nach einer (nur kurzen) Weile ziellosem Umherirrens durch die Stadt beschlossen wir, erstmal wieder den schönen Landschaften zu frönen und die Suche nach der Cartoleria dem Zufall zu überlassen. Der schien uns auch tatsächlich am gleichen Tage in einem vergleichsweise kleinen Ort noch zur Hilfe kommen zu wollen. Wir hielten an, ich ging hinein, wurde gefragt, was ich wünsche, und sagte: "Eine Straßenkarte".

"Wovon?"

"Italien, komplett."

Der Mann kam hinter seinem Tresen hervor ging an ein Regal und fand dort - nichts. Keine einzige Karte. Ich hatte in meiner Enttäuschung das Gefühl, ich hätte seine Rückfrage auch mit "Timbuktu" beantworten können.

Zum Abendessen gab es zuerst wieder Salami, gefolgt von Käse mit Marmelade bzw. Nüssen, ferner frittierte Pilze, als ersten "richtigen" Gang Ravioli mit Salbei, als zweites dann Kalb in Rotweinsauce auf Polenta. Abgeschlossen wurde unser Mahl mit einer Portion Tiramisu, und ohne eine Grappa hinterher ließ sich das natürlich überhaupt nicht ertragen.

Tagesstrecke 117 km, km 42340

Do, 03.09.2015

Heute hieß es, wieder Abschied zu nehmen, diesmal habe ich aufgepasst und die Schlüssel dagelassen. Zuerst Richtung Osten schwenkten wir mit der Zeit nach Südosten ab, und die Berge wurden wieder etwas höher. Sie boten schöne Kurven, aber auch öfters mal abgerutschten Straßenbelag. Generell war es stets angenehmer, wenn der Berg sich auf unserer rechten Seite befand, weil die beschädigten Abschnitte dann auf der Gegenfahrbahn lagen.

Wann das wohl mal wieder repariert werden soll? Irgendwo hielt ich unterwegs kurz an, um ein Foto zu machen. Das war bei uns inzwischen ein bewährtes Verfahren: Einmal kurz hupen, Ulrike würde dann langsam weiterfahren und an geeigneter Stelle, spätestens jedoch am nächsten Abbiegepunkt auf mich warten. Ich meinerseits würde meist einen kleinen Zahn zulegen, um sie vielleicht auch vorher schon wieder einzuholen. So tat ich es auch hier. Als ich jedoch den nächsten Ort, der erst nach einigen Kilometern kam und dann auch gleich etwas größer war und etliche potentielle Abbiegepunkte aufwies, ohne Ergebnis wieder verlassen sollte, stoppte ich dann, hier hätte sie sich bestimmt irgendwo an die Seite auf eine schattige Stelle gestellt. Handy heraus, prompt fand ich eine SMS: "Du bist nicht mit abgebogen. Warte!" Zu Befehl. Hier war gerade eine Bar, meine Maschine stand weithin sichtbar am Straßenrand, geantwortet mit genauer Standortbeschreibung und ein Kaltgetränk bestellt. Kurz darauf kam Ulrike.

"Warum bist du nicht mit abgebogen?"

"Weil ich dich nicht gesehen habe?"

"Du warst aber direkt hinter mir!"

"Das kann nicht sein!"

Dann dämmerte es mir: Als ich gerade die Kamera wieder zurück in den Tankrucksack gesteckt hatte, fuhr auf der Straße ein einzelner Motorradfahrer vorbei. Den muss sie im Rückspiegel dann für mich gehalten haben.

Es gibt aber auch heile Straßen In Villafranca begannen wir mit der Zimmersuche und fanden auch schnell eines im Albergo Manganelli, einem recht alten Gebäude. Unser Zimmer hatte eine Stuckrosette an der Decke, aus der das Kabel eines Kronleuchters kam, und darunter stand ein stilvolles gusseisernes Bett. Leichte Abzüge in der B-Note gab es allerdings, als wir sahen, dass das Kopfteil desselben mit zwei schnöden Schlauchschellen an der Wand befestigt war. Beim Spaziergang durch den Ort trafen wir auf einen Buchladen, der allerdings schon geschlossen hatte, so dass wir nicht nach unserer Straßenkarte haben fragen können. Zudem waren die gesamten Auslagen im Schaufenster so total ausgeblichen, dass wir es nicht für lohnend erachtet haben, morgen noch einmal hier vorbeizukommen, denn wenn die angebotenen Waren so "frisch" waren wie die im Fenster, dann würden wir hier wohl die ältesten Karten unserer ganzen Sammlung erwerben.

Tagesstrecke 274 km, km 42614

Fr, 04.09.2015

Auf der Weiterfahrt war recht bald ein Stück der Strecke gesperrt, und wir mussten die Route verlegen. Das war aber letztlich gar nicht schlecht, denn so kamen wir durch die Gegend, in welcher der berühmte Marmor von Carrara abgebaut wurde. Hier sah man öfter mal Gebäude, bei denen dieser Baustoff verwendet wurde, und vor allen Dingen hat dieser Stein beim Bau der Landschaft ausgiebig Verwendung gefunden. Das war toll, an manchen Stellen an leuchtend weißen Felswänden entlang steil bergauf quasi in den Himmel hinein zu fahren, weil voraus eine Kuppe kam und dort nichts als strahlend blauer Himmel zu sehen war.

Da uns unsere Route in die Nähe von Pisa führte, wollte ich dort dann auch mal den berühmten schiefen Turm sehen. Dazu war ich bereit, sogar etwas Stadtverkehr in Kauf zu nehmen. Irgendwo in der Stadt hielt ich dann an, um mal zu gucken, wo genau das denn nun wäre. Ulrike meinte: "Du hast da doch einen Wegpunkt gesetzt. Ich glaube nicht, dass wir den Turm hier verfehlen können. Ich habe ihn vorhin sogar schon kurz gesehen." Meine Antwort lautete: "Ich bin davon überzeugt, dass wir alles verfehlen können." Und ich sollte Recht behalten. Wir waren schon daran vorbeigefahren, und mein in Ulrikes Planung nachträglich gesetzter Wegpunkt ist offenbar beim Export vom Routenplaner in das Tomtom-Format von der Software fort"optimiert" worden. Aber wir mussten nur ein ganz kurzes Stück zurückfahren, eine Links-Rechts-Kombination, und sinnigerweise gab es genau dort dann eine Reihe Motorradparkplätze, von denen sogar noch mehrere frei waren. Aber davon abgesehen war der Platz natürlich voll von Touristen. Wir hatten kaum die Helme abgenommen, da wurden wir auch schon von einem Afrikaner gefragt, ob wir Uhren kaufen wollten. Er sagte "billigster Preis" auf Deutsch, vermutlich war er in der Lage, jedem Europäer, egal woher, in dessen Muttersprache eine gefälschte Rolex anzubieten. Wir fragten uns allerdings, was das für Leute sind, die auf so etwas hereinfallen?

Der berühmte Turm von Pisa Von den Unmengen an Menschen, die sich auf der Anlage befanden, machte stets etwa 20% diese spezielle Handhaltung für ein Foto, auf dem es dann so aussehen sollte, dass sie den schiefen Turm stützen. Dabei war der Turm selbst eigentlich nur Beiwerk hier. Direkt daneben stand eine sehr schöne Kathedrale, und auf der anderen Seite noch ein gar nicht mal kleines Baptisterium. Die vom Publikum offenbar empfundene Wertigkeit der Sehenswürdigkeiten schlug sich auch in den Ticketpreisen nieder: 18 € sollte die Besteigung des Turmes kosten, die Kathedrale war hingegen umsonst. Also wollten wir uns wenigstens letztere auch von innen angucken (irgendwo auch in der Hoffnung auf einen kühlen, schattigen Innenraum) und fragten nach zwei Karten. "Um 5 Uhr oder später?" Wie bitte? Es war gerade mal Viertel nach Zwei! Wir haben nicht probiert, ob man bei Kauf des teuren Tickets für den Turm nicht vielleicht auch zeitlich vorgezogen wird, sondern fuhren gleich wieder weiter.

Eigentlich wollten wir uns noch irgendwo hinsetzen und etwas Kühles trinken, aber wir hatten den Verdacht, dass wir gerade hier an dieser Stelle das Preis-Leistungsverhältnis eher suboptimal finden würden. So fuhren wir also noch ein Stückchen, und weil wir ja vorhin eine ganze Weile lang nicht gefahren waren, wurde das Stückchen etwas länger, aber schließlich hielten wir dann doch mitten in der Pampa (ringsum nur platte Felder, kein Haus, kein Baum) bei einer Bar an einer Tankstelle. Rein routinemäßig ging ich zum Kassenraum der Tanke und fragte dort nach einer Straßenkarte, und o Wunder - es gab hier tatsächlich eine [1]!

Die Toskana ist im Herbst immer sehr braun Eine Stunde, bevor wir die Kathedrale hätten besichtigen dürfen, kamen wir in die ersten Hügel der Toskana. Hier zeigte sich weder einmal, dass (zumindest für unseren Geschmack) der Herbst dafür nicht die richtige Jahreszeit ist. Die Felder waren fast alle abgeerntet, und so überwog in der Landschaft eindeutig die Farbe Ockerbraun. Auch was das Motorradfahren anging, wurde das Erlebnis getrübt durch massenhaft in unseren Augen unmotivierte Geschwindigkeitsbeschränkungen auf 50 km/h, teilweise sogar nur 30 km/h, und das auf freien Strecken mitten zwischen den Ortschaften. Den Einheimischen schien das zwar egal zu sein, aber wir als Fremde waren uns eben nicht sicher, ob hier nicht doch mal kontrolliert wurde, und waren dementsprechend vorsichtig.

In Pomarance beendeten wir die heutige Etappe im Antico Hotel Del Pomarancio. Der Stilmix unseres Zimmers hier toppte noch das Erlebnis von gestern: Durch zwei Feuerschutz-Stahltüren betrat man einen großzügigen Raum mit Möbeln in altem Stil (frag mich bitte niemand, in welchem Stil, von Rokoko & Co. habe ich nun überhaupt keine Ahnung), mehr als vier Meter hoch mit leicht gewölbter Decke, die mit einer Rosette und schönen Randverzierungen bemalt war, und es gab einen Einbauschrank, deren eine Tür in den Schrank, die andere jedoch in das Bad führte. Und draußen der Fahrstuhlschacht war aus sehr grobem Sichtbeton (Abbild der Bretterstruktur in der Oberfläche) und "natur" (= hat noch niemals einen Schlag Farbe gesehen), aber die Fahrstuhltür darin war mit weißem Marmor eingefasst.

Tagesstrecke 279 km, km 42893

Sa, 05.09.2015

Um 300 Uhr wurde ich geweckt mit der Frage, ob ich den Regen hören könne. Ja, jetzt, wo ich schon mal wach war, konnte ich ihn in der Tat hören, das rauschte ganz ordentlich. Und dann nahm ich auch den Streit aus einem anderen Zimmer wahr, der Ulrike geweckt hatte. Und da ich mich zufällig in dem Moment gerade umgedreht hatte, hatte sie gemeint, mir die Frage getrost stellen zu können. Aber beim Aufstehen (knapp 5 Stunden später) war das alles schon wieder vorbei.

Unten im Frühstücksraum gab es erstmals seit der Schweiz wieder Internet-Empfang. Ulrike las mir von ihrem Smartphone die Wettervorhersage vor: "Zwei Regentropfen, 12 °C." Ok, das war für Hamburg. Mein Standardspruch, wenn sich jemand über zu große Hitze beklagt, lautet ja: "Die Alternative wäre 12 °C und Dauerregen", aber diese 12 °C waren die Nachttemperaturen. Dann Italien: "Heute kann es noch ein paar Schauer geben. Morgen 27 °C, Schäfchenwolken. Montag 27 °C, Schäfchenwolken. Dienstag 27 °C, Schäfchenwolken. Mittwoch 27 °C, Schäfchenwolken. Donnerstag 27 °C, keine Schäfchenwolken."

"Hä?"

"Gar keine Wolken am Donnerstag. Freitag wieder wie vorher..."

Daraufhin holte ich meinen kleinen Reisecomputer, guckte in meine Mails und versuchte, die Leute aus meinem Italienischkurs, die sich auch in den Ferien ein paarmal trafen, neidisch zu machen mit dem Hinweis, ich könne am letzten Übungsabend nächste Woche leider nicht teilnehmen, da ich mich in der Toskana befände und noch ganze zwei lange Wochen vor mir habe.

Kurz nach der Abfahrt tauchte in der Landschaft ein großes Kraftwerk, möglicherweise ein Kernkraftwerk, auf. Und wir waren kaum daran vorbei, da standen an einer Einmündung zwei Carabineri und zeigten die Kelle. Natürlich gingen uns in dem Moment die üblichen Gedanken durch den Kopf: Unwissentlich zu schnell gefahren? Bevorstehende Aktionstage gegen Atomkraft? "Führerschein und Fahrzeugpapiere bitte!" Die Daten derselben wurden mit Kugelschreiber in ein Formular A4 quer eingetragen, dann durften wir auch schon wieder weiterfahren.

Wein"berg" Zwischendurch sah der Himmel immer mal wieder stellenweise düster aus, hinter Castel Giorgio trafen uns dann erste dicke Regentropfen. Zufällig war gerade Zeit für eine Pause und ebenso zufällig kamen wir gerade an einer Antica Trattoria vorbei, die zwar von außen nicht doll aussah, aber drinnen wurden wir in eine ganz gemütliche Gaststube geführt, wo wir gut und günstig Pasta speisen konnten, während der Regen nicht gerade leise auf das flache Dach rauschte. Und als wir damit fertig waren, schien draußen auch schon wieder die Sonne.

Der Stausee Lago di Corbara (zwischen Orvieto und Todi) war fast bis obenhin voll mit Wasser, ganz im Gegensatz zum Edersee in Deutschland, wo wir am Wochenende vor unserem Aufbruch ein Treffen besucht haben und ich über eine alte Brücke fahren konnte, die normalerweise viele Meter unter Wasser liegt. Und hier wurden die Berge jetzt auch wieder deutlich höher.

In Terni erwischte uns der zweite Schauer des Tages, aber zufällig waren unsere Tanks beinahe leer und die Tankstelle, an der wir gerade vorbeifuhren, hatte ein Dach. Und auch hier klappte das Timing hervorragend.

Irgendwo hinter Rieti kamen wir auf eine Straße, die zwar nicht mit vielen Kurven aufwartet, dafür aber hoch oben verläuft und zwischendurch immer wieder von langen Talbrücken aus tolle Ausblicke auf bewaldete Berglandschaft bietet. Das fand ich sehr angenehm, und ich meine mich zu erinnern, dass wir hier auch schon vor etlichen Jahren auf dem Weg nach Griechenland einmal langgefahren sind und mir das damals auch schon gefallen hatte. Allerdings hatte ich weder damals ohne noch jetzt mit Streetview die Straße zweifelsfrei identifizieren können, so dass ich nicht sagen kann, wo genau das nun gewesen war.

Mit Sora hatten wir am Abend einen Ort erreicht, der ungefähr auf derselben Höhe liegt, wo wir auf unserer Reise 2012 wieder umgekehrt waren, hier begann nun also jene Gegend, die wir uns genauer angucken wollten. In diesem Ort mussten wir erst eine Weile suchen, fanden dann aber ein Zimmer in einem B&B. Hier bekamen wir zwar nichts zu essen am Abend, aber ein kleiner Spaziergang schadet ja bekanntlich nie. Außer etwas Bewegung und einer leckeren Pizza bot dieser Gang allerdings wenig Erbauliches. Wir hatten wahrlich schon schönere Ortschaften gesehen, und die Qualität des Belages der Fußwege warf die Frage auf, wie denn die eleganten Italienerinnen mit ihren Stöckelschuhen hier wohl klarkommen würden.

Tagesstrecke 465 km, km 43358

So, 06.09.2015

Santuario di Maria Heute ging es zunächst auf größeren Straßen vorwärts. Gerade in dem Moment, als ich mich dann doch fragte, ob Ulrike die Tour nicht vielleicht doch auf etwas heimeligere Routen hätte legen können, bog sie davon ab. Allerdings ging es dann wieder in die entgegengesetzte Richtung zurück. Das dauerte nicht lange, dann hielt sie an und fummelte am Navi herum. Da war wohl ein Wegpunkt irgendwie leicht neben die geplante Route gerutscht und bei der Kontrolle nicht weiter aufgefallen. Aber die große Straße hatte auch ihr Gutes, denn hinter Iseria bekamen wir rechter Hand die Aussicht auf eine sehr schöne Kirchenanlage, die auf die Entfernung und in gleißendes Sonnenlicht getaucht fast wie ein Kartonmodell anmutete. Das war Santuario di Maria Santissima Addolorata. Die gute Aussicht auf die Stätte enthüllte allerdings auch mehrere Reisebusse, die sich darauf zubewegten, so dass wir von einer Besichtigung denn doch lieber absahen.

Im weiteren Verlauf der heutigen Fahrt bekamen wir nach unserem Eindruck ungewöhnlich viele Blitzer zu sehen, und dann in zunehmendem Maße auch eine Masse Müll! Zuerst stapelte sich das Zeug "nur" bis zu kniehoch an den Rändern der Parkbuchten, aber je weiter wir an Neapel herankamen, umso mehr lag das Zeug einfach überall am Straßenrand. Wir hatten gelesen, dass die Mafia daran schuld sein soll, aber irgendwie erschien uns das nicht besonders logisch. Es wirkte nicht so, als ob die Kommunen hier ihre LKW abgeladen hätten, sondern eher so, als ob die Leute, so wie unsereiner alle zwei Wochen das Altglas zum Container bringt, morgens für den Weg zur Arbeit den Müllbüdel mitgenommen und unterwegs irgendwo abgestellt hätten.

Er betet, dass der Vesuv nicht ausbrechen möge Nach Neapel sind wir natürlich nicht hinein, sondern auf der Landseite in gebührender Entfernung daran vorbeigefahren. Danach wollten wir aber wieder zur Küste, darum schwenkten wir um nach Westen, eine Weile lang direkt auf den Vesuv zu. Die Stadt Salerno konnten wir so nicht gut umgehen, aber wir fanden eine Route, die als Hochstraße quasi darüber hinwegführte, so ließ sich das noch richtig gut ertragen.

Sobald die Gegend wieder ein Bisschen ländlicher wurde, begannen wir mit der Unterkunftssuche. Zunächst folgte ich einem Hinweis auf ein B&B. Der führte uns aber auf immer engere Straßen im Ort steil bergab. Irgendwann gab ich auf und hielt auf einer hinreichend großen, aber keineswegs ebenen (so etwas gab es hier nirgends) Fläche an, um zu wenden. Ulrike schimpfte schon kräftig mit mir, weil sie mit ihren kurzen Beinen hier echte Schwierigkeiten hatte und wir dann das alles ja auch noch wieder zurückfahren mussten. Während ich also ihre Maschine umdrehte, wurden wir von einer Frau von einem Balkon herab angesprochen. Es stellte sich heraus, dass genau hier das B&B war (jedoch anscheinend ohne jegliches Schild am Haus) und die Wirtin bereits auf Gäste wartete. Die angekündigten Leute waren wir jedoch nicht, und weiter hatte sie nichts frei.

Nachdem ich auch beide Maschinen wieder den Berg hochgefahren hatte, probierten wir ein Stück weiter ein großes Hotel, das für unseren Geschmack jedoch zu viele Sterne hatte, und kamen dann nach Sorrente. Hier fanden wir schließlich in namensgebender Lage das Hotel Central mit einem freien Zimmer für uns. Gegenüber gab es eine Garage mit Plätzen auch für Zweiräder, die allerdings für Roller gedacht und somit so knapp bemessen waren, dass wir ganz schön zirkeln mussten, um unsere großen Brocken darin ordentlich unterzubringen. Zum Abendessen gingen wir noch ein Stück durch den Ort, und gar nicht weit vom Hotel kamen wir an einem Irish Pub vorbei, wo man auch draußen sitzen konnte. Also heute mal nicht italienisch speisen, sondern zur Abwechslung mal Fish & Chips mit einem dunklen Guinness. Ulrike bestellte sich stattdessen Lemon Soda und bekam zu der Flasche ein Glas voller Eiswürfel. Sie nahm die Hälfte davon heraus und warf sie auf die Straße unter ein parkendes Auto, bis ich meinte: "Gleich kommt der Besitzer und denkt, sein Kühler leckt, weil er unter dem Motorraum eine Pfütze findet." Aber er kam nicht, jedenfalls nicht, bevor wir gegangen sind, und wahrscheinlich war das Wasser in der Zwischenzeit auch schon alles wieder verdampft.

Tagesstrecke 391 km, km 43749

Mo, 07.09.2015

Für heute stand die Amalfiküste ganz am Anfang auf dem Programm. Der Tourenfahrer schrieb dazu in einem Artikel [2]: "sollte man vor 6 Uhr befahren". Das wäre jedoch noch vor dem Frühstück gewesen (das gab es erst ab 7), und dafür ließ sich leider kein Konsens erzielen. Um 7 war der Frühstücksraum schon voller Rentner. Die Leute sprachen ein Französisch, das auch Ulrike ganz gut verstehen konnte, und sie waren laut, kamen also möglicherweise aus Belgien (hier kommen jetzt die Vorurteile durch von jemandem, der eine Weile lang in Frankreich gelebt hat). Auf jeden Fall eine Busladung mehr, welche schon früh den Verkehr ausbremsen wird.

Amalfiküste im Gegenlicht Beim Aufbruch merkten wir dann auch, dass es mehr als zwei Stunden nach der empfohlenen Zeit war. Durch den Ort ging es mit nicht viel mehr als Schritttempo. Dann bog aber das meiste links ab in Richtung der größeren Orte, wir jedoch nach rechts, und es wurde erträglich. Blieben die Reisebusse, und davon waren leider schon einige unterwegs. Beim dritten davon beschloss ich, dass es sich nicht lohnt, beim Überholen derselben Leib und Leben zu riskieren, und entschied mich dafür, lieber ein paar Fotostopps mehr zu machen. Und das lohnte sich durchaus. Zwar lagen die schönsten Ausblicke auf die Küste in unserer Reiserichtung, und da hatte ich fast immer mit Gegenlicht zu kämpfen, aber man kann ja auch einfach mal die Kamera ausschalten, die Ellenbogen auf eine Mauer setzen, das Kinn in die Hand gestützt, und wohlig seufzen in dem intensiven Bewusstsein, wie gut man das doch hat. So genossen wir an zahlreichen schönen Stellen die herrlichen Ausblicke, bevor wir wieder mal ein kleines Stück Asphalt unter die Räder nahmen.

"Treffen sich zwei Busse..." Irgendwann waren da auch unsere "Belgier", ich hatte sie beim Aufladen einsteigen gesehen, daher wusste ich, in welchem Bus sie saßen. Und zum Glück ist es bei Rentner-Busreisen offenbar europaweit üblich, die Leute recht bald an einer geeigneten Lokalität (in diesem Fall einer Töpferei) auszusetzen, um die Teilnahme an einer Verkaufsveranstaltung zu erzw ähm zu empfehlen. So konnten wir hier also bald wieder ein Stück frei fahren. Und dann bog unsere Route nach links ab und nahm einen Schlenker ins Landesinnere. Und hier war jetzt auch mal Schatten! Das Glück auf Reisen besteht eben manchmal auch aus einem Waldstück, dessen Blätter gnädig die Sonneneinstrahlung mildern. Manchmal wird das Glück auf Reisen aber auch schnell wieder getrübt, diesmal durch ein Müllfahrzeug, das vor uns dahinzockelte. Hier war nun der lebende Beweis dafür, dass nicht aller Abfall am Straßenrand landet, dieser Wagen ist definitiv damit in Berührung gekommen, denn er stank erbärmlich! Der Wagen war zwar kürzer als ein Reisebus, fuhr dafür aber schneller (wenn auch nicht schnell genug), der Schwierigkeitsgrad war also ungefähr derselbe, aber der Gegenverkehr nicht ganz so dicht auf diesem Stück, so konnten wir den Stinkstiefel irgendwann doch überholen und danach wieder frei atmen. Und die Pinien, von denen es hier (inzwischen wieder zurück an der Küste) viele gab, dufteten ganz wunderbar (im Gegensatz zum Fahrzeug von vorhin).

Als es Zeit war für eine größere Pause, setzten wir uns in einem Ort auf eine Bank unter ein paar Bäumen am Hafenbecken und hatten dort lange Muße, den Blick über ein Meer von weißem Plastik schweifen zu lassen. Keine Spur von traditionellem Bootsbau, alles, was dort schwamm, war aus mehr oder weniger leuchtend weißem GFK und hatte mehr oder weniger die Form einer Nussschale, mal mit Außenborder, mal ohne, aber nur ganz selten mit Dach. Auf der Weiterfahrt gab es irgendwo einen gesperrten Streckenabschnitt, aber da wir ja zum Zwecke des Motorradfahrens unterwegs waren, war uns der Umweg eigentlich herzlich egal.

Lauschiger Dorfplatz In der kleinen Ortschaft Pisciotta kreuzte eine Mischung aus Fußgängerstraße und Marktplatz unsere Route, und das sah so typisch südländisch aus, dass wir spontan beschlossen, noch einmal Pause zu machen und uns vor eines der Cafés zu setzen. Da die ausgewiesenen Zweiradparkplätze alle besetzt waren, stellten wir unsere Maschinen an den Rand des Platzes mit dem Gedanken, dass wir die Maschinen ja im Blick hatten und eingreifen könnten, falls es deswegen Probleme geben sollte. In der Tat kam nach einer ganzen weile eine Polizistin, nicht unattraktiv und in einer tadellos sitzenden Uniform, den Platz hoch, ging aber an unseren Maschinen vorbei und verschwand oben. Aber als sie wieder zurückkam, kam sie direkt zu uns, ob uns denn die motos gehören, die dürften dort nicht stehenbleiben. Nun, wir hatten schon ausgetrunken und bezahlt, konnten somit also auch wieder weiterfahren. Ich vermute mal, dass der Knackpunkt war, dass sich inzwischen noch ein weiterer Roller zu unseren Maschinen gesellt hatte und nicht ganz zu Unrecht die Befürchtung bestand, das Ensemble würde im Laufe der Zeit weiter anwachsen. Die Besitzerin dieses Rollers jedenfalls klönschnackte mit ein paar anderen Damen nicht weit entfernt und kümmerte sich kein Stück um die Ordnungshüterin, die hier neben dem Fahrzeug stand. Da zog letztere eine Pfeife hervor und ließ einen gellenden Pfiff ertönen, worauf die Frau dann angerannt kam. Den lautstarken Wortwechsel, der nun folgte, haben wir uns aber nicht mehr angehört, sondern sind lieber zügig von dannen gezogen.

Karte des Hotels Pixunte Nachdem wir so eine ganze Weile lang in Küstennähe unterwegs waren, bogen wir noch einmal ab in die Berge. Die SS562d führte uns dabei durch ein richtig schönes Tal. Das Vergnügen währte jedoch nicht allzu lange, dann hatte uns die Küste wieder. Und im Ort Policastro Bussentino lockte rechts das Schild eines Hotels. Das Hotel Pixunte sah zwar auf den ersten Blick nicht besonders aus, aber es hatte ein Restaurant angeschlossen, wo wir nett essen und den Tag ausklingen lassen konnten.

Tagesstrecke 234 km, km 43983

Di, 08.09.2015

Das Frühstück wurde offenbar umso karger, je weiter wir nach Süden kamen. Wir behaupten ja gerne, das läge daran, weil die Italiener am Vorabend immer so üppig speisen, dass sie am nächsten Morgen noch nichts wieder haben mögen. Wir erinnerten uns an die tollen Abendessen vom Agriturismo Gallo, und ich fing an zu dichten:

Ouh, mein Wanst, das war das letzte Mal,
ich fühl' mich wie'n gestrandeter Wal.
Ich hab' bis morgens sechs Gänge gegessen
und dann beim dolce das Neinsag'n vergessen.

(frei nach dem Song "Nie wieder Duun" von der norddeutschen Gruppe Torfrock).

Auf der heutigen Fahrt sahen wir etwas, was für uns bisher immer automatisch mit der Insel Korsika verbunden ist: Einen Waldbrand. Allerdings zeigten sich uns die Flammen nicht direkt, aber links von uns in den Bergen stieg dichter Rauch auf, und von rechts vom Meer kam ein Hubschrauber, der unter sich einen großen "Eimer" mit Wasser schleppte, den er dann über dem Brandgebiet auskippte.

Im Ort Pizzo war es wieder einmal Zeit für eine Pause. Die Trattoria sah nicht besonders aus, der ganze Baukomplex bestand aus massenhaft Beton, und eigentlich wollten wir auch nur einen Schluck trinken und die Toilette aufsuchen. Aber der Besitzer sprach ein im Gegensatz zu vielen seiner Landsleute ausgesprochen flüssiges Englisch, und damit gelang es ihm, uns zuerst eine Portion Lasagne und dann ein sehr leckeres Tartufo aufzuschwatzen. Er behauptete, dieser Ort sei für diese Eissorte berühmt, was ich zunächst als südländische Übertreibung angesehen hatte (mir das aber natürlich nicht habe anmerken lassen). Aber bei der Nachbereitung wurde ich eines Besseren belehrt: Wir waren hier tatsächlich am Ursprungsort dieser schmackhaften Dessertspeise gewesen und hatten eine durchaus gelungene Kostprobe davon bekommen.

Wieder "on the road" fiel uns auf, dass die paar Fahrradfahrer, die in dieser Gegend zwischen den Ortschaften unterwegs waren, ausnahmslos afrikanische Wurzeln hatten. Weiter oben im Norden gab es noch massenhaft Sportradler, hier hingegen nicht mehr, und diejenigen, die hier das Rad als Alltagstransportmittel nutzten, schienen allesamt keine Italiener, sondern Einwanderer aus Zentralafrika zu sein. Unsere nächste Pause machten wir in einer Bar in einem ganz kleinen Dorf. Hier wurden wir von einem Mann angesprochen, der bis zum Jahr 1981 (das war, als ich Abitur gemacht hatte) in Eidelstedt (einem Stadtteil von Hamburg) als Gastarbeiter gelebt hatte.

In der Straße von Messina regnet es schon So langsam näherten wir uns der Straße von Messina wie auch unserem Bergfest, heute Abend würde die Hälfte unserer Reisezeit bereits wieder hinter uns liegen. Allerdings hing schon seit einer ganzen Weile viel Dunst in der Luft, und bald begann es dann auch, zu regnen. Da war es wohl an der Zeit, auf Zimmersuche zu gehen. Unser Navi wurde befragt nach Hotels in der Nähe, und es führte uns zur Residence President, die wir ohne solche Hilfe wohl nie gefunden hätten. Das Zimmer war zwar relativ teuer mit 95 €, aber das war uns angesichts der Wetterlage relativ egal. Als ich dann im Bad jedoch auf dem Fußboden Reste von Dichtungsmasse und Zigarettenasche vorfand, habe ich das doch moniert. Das war aber alles kein Problem, wir bekamen kurzerhand ein anderes Zimmer zugewiesen. Zum Abendessen war das Ristorante Mimmo nicht weit entfernt. Wir mussten zwar durch leichten Regen dorthin gehen, konnten aber nett am Fenster sitzen mit Blick auf Sizilien und dort drüben die in der Nacht schön glitzernden Lichter einer Kreuzung oben in den Bergen bewundern.

Tagesstrecke 305 km, km 44288

Mi, 09.09.2015

Heute früh konnte man die Berge Siziliens kaum sehen, immer noch alles voller Regen! Und laut Wettervorhersage sollte das im ganzen Süden so sein. So verwarfen wir den ursprünglichen Plan, uns von hier aus nach Osten in die Berge zu schlagen. Und den Plan B, auf der roten Küstenstraße unten herum und an der Ostküste entlang wieder hoch zu fahren, verwarf ich, nachdem meine Versuche, mich durch sehr unangenehmen Ortsverkehr in Reggio di Calabria zu quälen, mich zweimal auf die Autobahn Richtung Norden gebracht hatten - beim zweiten Mal versuchte ich nicht wieder das verbotene Wendemanöver an der Zufahrt zur Polizei, sondern fuhr weiter. Dann also nach ein paar schnellen Kilometern Plan C: Zurück auf der gleichen Straße, die wir schon gekommen waren. Von der wussten wir schließlich, dass sie sich ganz gut fahren ließ (in Reggio di Calabria hingegen war die Straße stellenweise voller mit Wasser gefüllter tiefer Löcher gewesen), und so schlimm, dass wir die Autobahn nehmen wollten, war es nun doch nicht.

Pause während der Flucht vor dem Mistwetter Aber nur kurzzeitig schien das Wetter trockener werden zu wollen, dann ging es wieder von neuem los. Also machten wir zwei lange Pausen in Bars (in einer davon aßen wir das menu fisso für 10 €: Spaghetti als ersten und Schweinefleisch als zweiten Gang), und kurz nach 17 Uhr hatten wir die Faxen dicke und nahmen uns ein Zimmer im Hotel Paradiso in Scalea. Hier konnten wir immerhin paradiesisch trocken abladen, denn wir durften die Motorräder auf die Terrasse unter ein riesiges (und weitgehend leeres) Zeltdach stellen. Danach war dann Wäschetrocknen angesagt, zu welchem Zweck Ulrike, deren Stiefel bei solchen Gelegenheiten grundsätzlich immer Wasser ziehen, seit Hamburg eine Ausgabe der Zeitung "Die Zeit" mitgeschleppt hatte. Aber auch meine Stiefel sind diesmal nicht trocken geblieben.

Beim Abendessen lief natürlich irgendwo im Raum auch ein Fernseher. Wir hatten uns zwar so gesetzt, dass wir davon möglichst wenig gestört wurden, bekamen aber trotzdem mit, dass es auf Sizilien richtig schlimm geregnet haben muss, es wurden Bilder gezeigt von Autos, die durch überschwemmte Straßen gespült wurden. Im Laufe des Nachmittags hatte ich noch behauptet, man könne halt doch nicht immer Glück haben, möglicherweise war diese Einschätzung heute aber nur bedingt richtig. Und als wir nach dem Essen noch kurz vor die Tür traten, fiel kein weiteres Wasser vom Himmel, es gab also auch noch Hoffnung.

Tagesstrecke 263 km, km 44551

Do, 10.09.2015

So langsam wird es wieder In der Nacht hörte ich draußen noch einmal den Regen rauschen. Aber als ich am Morgen das Fenster aufmachte, sah der Himmel wieder recht freundlich aus, nach Norden hin allerdings besser als Richtung Süden. Nach dem Frühstück war der Himmel jedoch schon wieder gänzlich bedeckt, weshalb wir vorerst noch auf den größeren Straßen blieben. Auch die Luft war immer noch vergleichsweise frisch. Trotzdem ließ ich das Visier lieber einen Spalt weit offen, denn in meinem Helm war es noch etwas muffig, der war wohl noch nicht wieder ganz trocken.

Heute hatte offenbar die hiesige Polizei Großkampftag, wir sahen etliche Male zwei Polizisten mit einer Kelle in der Hand am Straßenrand stehen, aber uns kontrollierten sie diesmal nicht. Auch der Müll in den Ecken wurde zusehends weniger (auch wenn ich nicht glaube, dass da ein Zusammenhang besteht). Irgendwann bogen wir ab Richtung Potenza und kamen so auch mal wieder auf kleinere Straßen. Zuerst war die Region noch relativ dicht besiedelt, dann wurde es mit zunehmender Einsamkeit immer schöner, einen ganz tollen Abschnitt fanden wir vor der Stadt Lavello. Auch weiterhin blieb es einsam, allerdings verließen wir jetzt so langsam das Gebirge. Das hatte zunächst zur Folge, dass der Streckenverlauf äußerst gerade wurde, sodann wurde der Fahrbahnbelag nagelneu, bevor die weitere Route gesperrt war. Allerdings konnten wir trotz der Einsamkeit hin und wieder (vermutlich einheimische) Autofahrer beobachten, welche die Absperrungen einfach ignorierten und weiterfuhren. Und da wir in dieser inzwischen total reizlos gewordenen Gegend (total platt, nur braune Äcker rechts und links). Drum beschlossen wir, dass es Zeit und Gelegenheit sei, sich an die örtlichen Sitten und Gebräuche anzupassen, und fuhren hinterher. Und das ging auch ganz gut. Zu Anfang war noch der neue Belag da, danach sollte die Baustelle offenbar erst vorbereitet werden, wir hatten jedenfalls nirgendwo größere Schwierigkeiten, durchzukommen. Das schien auch ganz gut zu sein, denn voraus in der Richtung, in die wir wollten, hingen dunkel und drohend schwarze Wolken über den Bergen.

Allerdings immer noch ohne Sonne Aus diesem Grund haben wir uns auch, sobald wir die Stadt Manfredonia erreicht hatten, nach einem Zimmer umgesehen und im Hotel Sipontum auch bald gefunden. Das Haus sah zwar nicht besonders aus, und es gab auch kein Restaurant, lag aber einigermaßen zentrumsnah. Und ein Typ, der vielleicht der Schwiegersohn des Betreibers war, fuhr mich auf meine Frage, ob wir hier Wäsche waschen konnten, sogar mit seinem Auto zur Wäscherei. Später brachte uns derselbe Mensch auch noch zum Restaurant - wir trafen ihn eigentlich nur zufällig beim Verlassen des Hotels. Ich will allerdings nicht ausschließen, dass er dafür eine gewisse Provision erhalten hat, denn er brachte uns sehr zielstrebig hin, kam mit uns hinein und schnackte noch kurz mit dem Padrone. Aber das Essen war gut und nicht zu teuer, da sollte es uns recht sein. Und auf dem Rückweg kamen wir noch in den Genuss eines kleinen Spazierganges, auch wenn unser Weg dabei recht wenig Highlights bot.

Tagesstrecke 303 km, km 44854

Fr, 11.09.2015

Zum Frühstück wurden wir mit einem handgeschriebenen und gestempelten Kärtchen zur Bar der Tankstelle um die Ecke geschickt (auf "deutsch" nennt man das wohl "Outsourcing"), und dort bekamen wir Kaffee bzw. Tee und jeder ein Croissant, das war alles. Da wir damit natürlich ganz schnell fertig waren (es gab zum Sitzen nur zwei Barhocker, es lief ein Fernseher und es war Hochbetrieb), hatten wir alle Zeit der Welt zum Packen, Ausklarieren und Tanken, bevor wir um 900 Uhr unsere Wäsche abholen konnten. Die war nicht nur fertig, sondern auch zusammengelegt, sortiert und nicht wieder in unseren Wäschebüdel, sondern in zwei Haufen aufgeteilt jeweils in Papier eingepackt. Und für das alles fand ich 20 € nicht zu teuer.

Interessante Felsformation Das Bergmassiv, das wir jetzt umrunden wollten, sah heute bei heiterem Himmel zuerst sehr karg aus - vereinzelte Bäume oder Büsche und dazwischen oft nicht einmal Kraut - bald kamen aber auch noch Olivenplantagen und später lichte Pinienhaine dazu, die schön hellgrün leuchteten und auch wieder gut dufteten. Ulrike meinte, es täte gut, mal etwas Anderes zu riechen als den Unrat am Straßenrand, und ich konnte ihr da nur beipflichten. Der Genuss zog sich allerdings stellenweise stark in die Länge, und ich fing schon an, Lobeshymnen zu ersinnen von der Sorte: "Unser neues Modell Lancia Piccolino 183, unangefochtener Vorreiter in jeder Autoschlange, mit unermesslicher Anhängerschaft in der gesamten Bevölkerung!" An ein Überholen war auf der kleinen kurvigen Bergstraße nicht zu denken, nicht einmal von den Einheimischen, so schleppten mehrere dieser Kleinwagen ihre Gefolgschaft hinter sich her, bis letztere an irgendeinem Aussichtspunkt erlöst wurde, weil die Touristen in ihrem Leihwagen (ich vermute, solche waren es) dort zum Glück oft anhielten.

Und touristisch erschlossen war die Ecke hier wirklich. Es gab eine Unmenge von Resorts, Residenzen, Ferienanlagen und Campingdörfern entlang der Küste. Allerdings ging die Saison stark dem Ende zu. Wenn man wie wir einfach nur eine Bar ohne viel Drumherum suchte, wo man ruhig sitzen und ein Kaltgetränk zu sich nehmen konnte, dann hatte man oft Pech, vieles war schon geschlossen.

Möchte man dort unten wohnen? In Péschici rächte es sich, dass Ulrike in ihrem vorsaisonalen Planungsrausch die gesamte Strecke der Rückreise von Manfredonia bis Hamburg in eine einzige Datei mit einer einzigen langen Route gesteckt hatte. Denn als ich (aus Schusseligkeit) hier einen Abbiegepunkt verpasst hatte (und unsere alten Headsets funktionieren nicht richtig mit dem neuen Navi, ich wurde also nicht wie früher akustisch rechtzeitig vorgewarnt), hatte das Gerät solange mit der Neuberechnung zu tun, dass ich irgendwann mitten im Ortskern an einer Kreuzung stand und partout nicht mehr weiter wusste, mein elektronischer Helfer mir aber lediglich zu verstehen gab, dass er erst 32% seiner Aufgabe erfüllt hatte. Da würde es heute Abend wohl nochmal einen etwas größeren Planungsakt geben müssen.

Am Ende der Garganoumfahrung machten wir Pause in einem größeren Restaurant mit schattiger Terrasse und Blick auf das Meer. Die Speisekarte gab es hier in mehreren Sprachen, wobei die Übersetzung aber wohl nicht von einem Muttersprachler der Zielsprache vorgenommen wurde, wie der Eintrag "Tintenfisch geschreddert" eindrucksvoll bewies. Wegen der Hitze war uns eigentlich gar nicht nach einem üppigen Essen, also bestellten wir jeder nur einen Salat, auch wenn sich der Kellner von uns offensichtlich mehr Umsatz versprochen hatte. Aber ich hatte gestern Abend noch in meiner in Karlsruhe neu erworbenen Reiselektüre [3] eine Stelle gelesen, wo sich der Autor mit Unverständnis über die Engländer des vorvorigen Jahrhunderts ausließ, die auch in tropischen Gegenden nicht von ihren heimischen Essgewohnheiten abweichen wollten.

Für das Stück danach hatte ich heute früh noch einmal in die Planung eingegriffen und die Route auf eine Strecke gelegt, die auf der Karte aussah, als führe sie über einen Damm zwischen Adria und einer Lagune (Lago di Varano). Dem war jedoch nicht so, man konnte das Wasser nach beiden Seiten gerade eben nicht sehen, nach rechts standen Bäume, links war es überwiegend bewohnt, aber reizvoll war die Straße durchaus.

Das galt für den folgenden Abschnitt leider nicht in gleichem Maße. Die inzwischen wieder etwas größer gewordene Straße parallel zur Küste schien uns doch recht langweilig. Deshalb traf es sich gut, dass unsere Route bei Compomarino abbog in Richtung Landesinneres, wir wollten gerne wieder in die Berge. Und das lohnte sich zuerst auch, die Landschaft wurde wieder schöner. Die Straße blieb gut ausgebaut, so dass es sich gut vorwärtskommen ließ. Allerdings trübte bald ein Umstand den schönen Anblick: Gerade voraus wurde der Himmel dunkel, da braute sich ein Schauer zusammen. Man konnte zwar schon sehen, dass es dahinter wieder heller werden wollte, aber irgendwann mussten doch erst einmal die Regensachen hervorgeholt werden.

Der Regen wie auch der Müll sind noch nicht wieder völlig verschwunden Und da kam dann auch ganz ordentlich was herunter. Zu allem Überfluss strömte bald nur noch der Regen, der Verkehr jedoch nicht mehr. Voraus hatte es einen Unfall gegeben, und weil man da nur einspurig daran vorbeikam, hatte sich schnell ein kleiner Stau gebildet. Zum Glück durften wir als Motorradfahrer größtenteils daran vorbeifahren, in Italien wird so das ja generell von allen toleriert und praktiziert. Und dank dieser kleinen Verzögerung hatte der Regen auch gerade wieder aufgehört, als wir im Hotel Sayonara in Isérnia eincheckten. Und als Ulrike hier nach dem Abendessen noch unsere weitere Navigationsroute aufsplittete, fand sie endlich auch den letzten Wegpunkt, der ihr versehentlich auf einen Autobahnabschnitt gerutscht war. Der hatte uns seither viel Kummer bereitet, weil das Gerät sich seitdem weigerte, eine Route mit der Option "Autobahn vermeiden" zu rechnen. Quasi als Ausgleich für die Freude über diese Entdeckung ist ihr allerdings zuvor bei der Kettenpflege das Spray ausgegangen. Im Prinzip hat sie an ihrer Bandit ja einen Kettenöler montiert, aber der hatte zu Beginn der Reise seinen Dienst eingestellt. Die Dose war eigentlich nur für Notfälle dabei, aber bei den relativ vielen Regenereignissen bislang war sie nun aufgebraucht. Und wenn das so weiterging, mussten wir sie möglichst bald ersetzen, auf alle Fälle aber noch vor Ende der Reise.

Tagesstrecke 329 km, km 45183

Sa, 12.09.2015

Fragwürdige Asphaltqualität abseits der Hauptrouten Auch heute wurden wir zum Frühstück in die Bar geschickt, die hier allerdings dem Hotel direkt angeschlossen war. Wie inzwischen beinahe schon gewohnt bekamen wir neben Tee/Kaffee genau jeder ein Croissant. Hier gab es allerdings viele verschiedene Angebote, hauptsächlich unterschieden anhand der Füllung, fast alles leckere, süße Sorten, aber wenn ich die Aufzählung der Verkäuferin richtig verstanden habe, war auch eine Vierkorn-Brioche dabei.

Jetzt am Wochenende trieben sich hier in der Gegend auf den kleineren Straßen auch einige Endurofahrer herum, vermutlich auf dem Weg zu den unbefestigten Pisten ganz abseits. Hinter Villetta Barrea kamen wir am Paso Godi wieder in eine atemberaubend schöne Gegend. Die Hänge der Berge waren hier nicht bewaldet, sondern nur mit Gras oder einer Art Heidekraut bewachsen, so dass man schön weite Ausblicke hatte. Und auch hier konnte man, wie schon in den vergleichbar schönen Sibillinischen Bergen, die wir im Jahr 2012 erstmals besucht hatten, offenbar Pferde zum Reiten mieten. In so einer Landschaft hätte ich ja schon Lust, das auch irgendwann einmal auszuprobieren (auch wenn manche Motorradfahrerkollegen von Pferden eher abfällig als "Bio-Moppeds mit nur einem PS" sprechen). Während Ulrike im rifugio die Toilette benutzte, sprach mich eine Frau an, die draußen rauchte. Sie erzählte, sie sei früher auch Motorrad gefahren, wäre aber jetzt zu alt dafür. Das konnte natürlich gar nicht sein, ich schätzte sie auf ungefähr mein Alter, aber sie bestand darauf, dass es so sei. Jedenfalls schnackten wir eine Weile, konnten aber Ulrike, als sie wiederkam, nicht mit einbeziehen, da sie außer Italienisch keine anderen Sprachen sprach. Auch hier kam die Frage auf, warum wir nicht BMW fuhren (das passierte uns im Ausland öfter), aber der Hinweis auf das hohe Preisniveau schien ihr einzuleuchten.

Am Paso Godi Auf der Weiterfahrt trafen wir nach Scanno und dem Lago di San Domenico noch eine tolle Schluchtstrecke, die mit ihrer Enge einen guten Kontrast zur zuvor erlebten Großzügigkeit der Landschaft bildete. In Ofena gab es ganz unspektakulär irgendwo ein Mittagessen. Dann folgte über Castèl del Monte der Höhepunkt des heutigen Tages: Eine Fahrt von Ost nach West durch den Gran Sasso Nationalpark. Eine supertolle Landschaft tat sich vor uns auf: Eine Art Hochebene, begrenzt von karg bewachsenen Berghängen und immer wieder durchsetzt von pittoresk über die Flächen verteilten hellen und schroffen Felsen. Dabei relativ einsam, mich wundert nicht, dass diese Region gerne auch als "kleine Mongolei" bezeichnet wird. Und mit einer langen Route entlang des Lago di Campotosto setzte sich dieses wunderschöne Erlebnis dann nahtlos fort.

Im Gran Sasso Nationalpark Den ganzen Tag über waren übrigens überall auch ganz viele andere Motorradfahrer unterwegs gewesen - klar, es war ja auch Wochenende und eine grandiose Gegend. Dabei fiel mir heute jedoch auf, dass manchmal auch welche eine richtig sinnige Fahrweise an den Tag legten, wenn sie nämlich alleine auf Tour waren, aber eben auch nur dann. Wahrscheinlich mussten diese nämlich ohne Begleitung von Kollegen einfach mal nichts beweisen und konnten die Fahrt dann mal so richtig genießen.

In Amatrice wurden wir bei der Zimmersuche im Il Castagnetto schnell fündig. Ein Schild verkündete "Bikers Welcome", und die Garage stand voller BMW-Motorräder mit italienischen Kennzeichen. Auch die Frau am Paso Godi heute Vormittag meinte schon, BMW sei sehr in Mode in Italien, das schien sich hier zu bestätigen. Beim Abendspaziergang merkten wir ziemlich schnell, dass wir hier in knapp 1000 Meter Höhe waren, es wurde doch bald etwas kühl.

Tagesstrecke 296 km, km 45479

So, 13.09.2015

Auch hier gab es zum Frühstück kein richtiges Brot, sondern allenfalls harten Zwieback, zum Ausgleich dafür aber wieder jede Menge süßes Gebäck. Wahrscheinlich hielt man es in diesem Land mit dem Ausspruch, welcher Marie-Antoinette zugeschrieben wird: "Wenn die Leute kein Brot haben, dann sollen sie doch Kuchen essen!"

Lago di Fiastra Unsere heutige Route führte uns durch eine zwar schöne Berglandschaft, jedoch ohne besondere Höhepunkte. Das mag daran gelegen haben, dass Ulrike die Strecke an den Sibillinischen Bergen vorbeigelegt hatte, da wir diese ja schon kannten. Ich wäre dort zwar auch gerne noch einmal hingefahren, aber wenn man immer wieder dieselben Orte anfährt, beraubt man sich ja auch der Chance, daneben vielleicht noch schönere zu entdecken. Erst ein Stück später habe ich deshalb erst wieder in die Planung eingegriffen und ab Sarnano die Route auf kleinere Straßen abgebogen, die uns zum Lago di Fiastra führten. Und damit hatte ich offenbar den richtigen Riecher, wir bekamen da wunderschön türkisgrünes Wasser zu Gesicht.

Kurz vor Matelica (zuerst habe ich auf den Schildern gelesen: "Metallica") gab es allerdings als Kontrastprogramm wieder mal dunklen Himmel vor uns. Darum drehten wir um und fuhren wieder zurück, aber der Regen war schneller. So wurde die bald fällige Mittagspause etwas vorgezogen, vor eine Bar in Múccia gelegt, wo man trocken sitzen konnte, und auch noch etwas ausgedehnt, bis das Wetter weitergezogen war.

In Perugia Im Laufe des Nachmittages ergab sich dann die Aussicht, über etwas größere Straßen nicht zu spät die Stadt Perugia erreichen zu können, und diese Chance auf noch etwas Kultur nahmen wir dann auch wahr. Es war allerdings dann nicht ganz einfach, sich in dieser Stadt zurechtzufinden, denn das Zentrum liegt hoch oben auf einem Berg, und etliche Straßen in Zentrumsnähe sind als Hochstraßen oder Tunnel ausgebildet, nicht immer mit sofortiger Abbiegemöglichkeit, wenn man erst einmal an seinem Ziel vorbeigefahren ist. Aber schließlich fanden wir mit signifikanter Unterstützung von unserer elektronischen Navigationshilfe das Hotel Iris, eine alte Villa direkt an der alten Stadtmauer. Dort hieß es schnell abladen, sich umziehen und dann ab in die Innenstadt. Dazu gab es eine Rolltreppe ganz in der Nähe, die in den Berg hineinführte und in einem alten Gewölbe endete. Dort wanderten wir einen Augenblick lang durch die Katakomben und kamen dann hinaus ins Freie. Und von hier oben war die Aussicht ganz fantastisch, wozu auch die beginnende Dunkelheit beitrug, die Lichter der Stadt unter uns waren richtig schön. Im Dom fand gerade eine Messe statt, und im Palast sollte in Kürze ein Konzert beginnen, aber die Gebäude sahen auch von außen schön aus. Und hier hatten wir auch keine Mühe, ein Restaurant zum Abendessen zu finden.

Tagesstrecke 280 km, km 45759

Mo, 14.09.2015

Heute war es wieder an Ulrike, vorwegzufahren, und hatte sie gestern noch mit mir geschimpft, weil ich die Zufahrt zum Hotel nicht auf Anhieb fand und wir noch einen Kringel durch die Stadt drehen mussten, bekam sie heute ähnliche Schwierigkeiten mit der dreidimensionalen Verkehrsführung, hier ging es im wahrsten Sinne des Wortes drunter und drüber. Auch mit ihrem nächsten Vorhaben hatte sie kein Glück: In den Vororten sollte ein BMW-Händler sein, den wir zwar fanden, der aber kein Kettenspray zu verkaufen hatte.

Den nächsten Regen unter der Markise einer Bar abgewettert Zunächst ging es auf relativ gut ausgebauter Strecke nach Arezzo, danach wichen wir aber auf kleinere Straßen (SR71, SS310) aus. In Pratovecchio Stia fanden wir passend zur Mittagszeit ein uriges Restaurant namens "L'Ospitale dei Brilli". Die Einrichtung hier wirkte sehr zusammengesucht, es schien kaum einmal zwei gleiche Stühle zu geben, und etliche Möbelstücke erinnerten uns an einen ehemaligen Mitpaddler, der künstlerische Möbel aus Material von Abbruchhäusern baut und diese Richtung "gelebtes Holz" nennt. Kaum waren wir wieder unterwegs, mussten wir auch schon wieder anhalten. Denn mir fiel auf, dass an der Schwinge der vor mir fahrenden Suzuki etwas herunterhing, was vorher noch nicht dagewesen war, und es schien mir sicherer, da noch einmal nach dem Rechten zu sehen. Und der Gedanke war völlig richtig, denn bei der Sache handelte es sich um den Schlauch vom Kettenöler, der sich jetzt auch noch gelöst hatte. Da das Gerät ja sowieso schon nicht mehr funktionierte, wurde der Schlauch auch nicht wieder festgebunden, sondern gleich abgebaut und verstaut in der Hoffnung, ihn nach der Reparatur gleich wieder vernünftig zu montieren. Leider jedoch ein Trugschluss, denn die Reparatur erwies sich zuhause als nicht mehr möglich, und hier erwischte uns nun auch wieder mal der Regen. Ein Regen, der sich zu einer veritablen Schüttung steigerte. Wir kamen gerade noch rechtzeitig in den kleinen Ort Londa, um dort etwa eine Stunde unter der Markise einer Bar zu sitzen und dem pladdernden Regen zuzugucken, bevor es wieder freundlicher wurde. Die Stadt Firenze (Florenz) wurde diesmal weiträumig umfahren, hier sind wir ja auch schon im Jahr 2012 gewesen.

In der Stadt Prato hatten wir mit reichlich Stau aufgrund von Feierabendverkehr zu kämpfen, bevor wir den Albergo "Il Giglio" und somit ein Zimmer fanden. Und die wenigen Parkplätze vor dem Haus waren auch sehr umkämpft. Ich war von meiner Frage, ob es hier ein freies Zimmer gäbe, noch nicht wieder draußen, da wurde Ulrike schon von einer Niederländerin angesprochen, die auch hier wohnte und sich Hoffnungen auf den Platz gemacht hatte, auf dem wir jetzt standen. Aber der Padrone kam dazu, und wir fanden auch für unsere Maschinen noch eine Ecke. Zu essen gab es hier zwar nichts, aber unser Albergo lag ja mitten in der Stadt, und ein kleiner Spaziergang zu Abwechslung ist ja abends meistens sowieso angesagt.

Tagesstrecke 246 km, km 46005

Di, 15.09.2015

Noch bevor unser Wecker klingelte, waren wir wach, und der Lärm draußen auf der Straße hatte nicht unerheblichen Anteil daran. Der wiederum stammte zum überwiegenden Teil von Schulmädchen im Teenageralter, die in kleinen Gruppen durch die engen Straßen zogen und dabei laut schnatterten, die Jungs waren da deutlich zurückhaltender. Auch das Wetter war zwar auffällig, aber nicht zu aufdringlich. Immer wieder waberten zwar dicke Wolken vor den Bergen, aber es blieb unterwegs doch trocken. Später in Abetone, einem Ski-Ort etwa 1400 Meter über dem Meeresspiegel, war es zudem auch noch ziemlich frisch, auch wenn mein Bordthermometer immer noch 18 °C anzeigte.

Noch später fiel uns auf einer recht einsamen Straße, die an einem See (dem Lago di Gramolazzo) entlangführte, ein Hund auf, der sehr zielstrebig die Strecke entlanglief. Ich musste zwischendurch einmal anhalten, weil ich ein Insekt in meinem Helm hatte, da lief er an uns vorbei, dann überholten wir ihn wieder. Als wir im nächsten Ort zum Mittagessen bei einem Restaurant (dem Riva del Lago) anhielten, kam er auch dazu, schien aber hier sein Ziel erreicht zu haben. Als wir wieder weiterfahren wollten, hing er draußen herum, und es schien uns, als hätte er sich vorhin extra beeilt, sein Rendezvous mit einer attraktiven Hundedame rechtzeitig zu erreichen, nur um von ihr dann versetzt worden zu sein.

In diesem Restaurant saßen außer uns nur noch vier andere Motorradfahrer, mit denen wir aber nicht ins Gespräch kamen. Und an der Wand hing ein Plakat, welches unter der Überschrift "Ein Jahrhundert Marmor" den Jahrestag des ersten Transportes eines Blockes per LKW über einen nahegelegenen Gebirgszug (1901) feierte. Dem mochten wir uns gar nicht gerne anschließen, denn schon kurz nach Beginn der Weiterfahrt fanden wir uns hinter genauso einem LKW wieder. Um das Maß vollzumachen, bog der dann auch noch vor uns dort ab auf eine Straße, die laut Ausschilderung von LKW nicht befahren werden durfte, und wo natürlich auch wir lang wollten. Gleich nach der Abbiegung ließ er uns dann aber vorbei, und die friedliche Stimmung in unseren Köpfen war wiederhergestellt.

In Pallerone führte uns das Navi dann durch ein Industriegebiet am Ortskern vorbei. Das war zwar visuell nicht besonders ansprechend, aber auf diese Weise kamen wir an einem Motorradhändler vorbei, bei dem Ulrike ihr Kettenspray bekommen konnte.

Und auch für das Auge wurde bald wieder einiges geboten. Nun kamen wir nämlich in den Gebirgszug auf der Rückseite der Cinque Terre (die wir 2013 besucht hatten, der Reisebericht hierüber muss jedoch noch geschrieben werden). Das war ein vergleichsweise schroffes Bergmassiv, und die Straßen waren auch recht einsam. Am Ende fuhren wir über den Passo di Bracco und kamen ans Meer.

In Sestri Levante kam in wenigen hundert Meter Abstand ein Hotel nach dem anderen. Im ersten reagierte niemand auf die Klingel, das zweite war voll, das dritte habe ich zu spät gesehen, aber im Hotel Elisabetta wurden wir fündig. Die Motorräder mussten wir allerdings auf einem offiziellen Parkplatz in der Parallelstraße abstellen. Diese lag jedoch direkt am Meer, genau passend für unseren Abendspaziergang. Hier gab es auch mehrere Ristorantes, so konnten wir unsere Pizza mit Blick auf das Wasser (und unsere Motorräder) genießen. Danach saßen wir noch eine ganze Weile auf ein paar Felsen am Wasser und philosophierten über Entropiezunahme, wobei ich jetzt gar nicht mehr genau sagen kann, wie wir denn gerade auf dieses Thema gekommen waren.

Tagesstrecke 241 km, km 46246

Mi, 16.09.2015

Gegen 630 Uhr wurden wir wach, weil irgendwo in der Nähe ein Handy klingelte und brummte und sein Besitzer nicht darauf reagierte. Das Gerät schien immerhin smart genug zu sein, sich irgendwann abzuschalten, vermutlich nachdem es sämtliche gespeicherte Klingelmelodien einmal durch hatte, wir hörten deren jedenfalls einige. Beim Frühstück (Büffet zur Selbstbedienung) gab es zwar kleine Edelstahlkannen für Tee, diese passten jedoch mit geöffnetem Deckel gerade eben nicht in den Kaffeeautomaten, der hier alle Heißgetränke incl. Teewasser bereitstellte. Der Tag schien unter keinem guten Vorzeichen zu stehen.

Dieser Eindruck setzte sich fort beim Blick auf den Himmel Richtung Genova - da hinten regnete es. So beschlossen wir, nicht wie zuerst geplant noch ein Stück der Küste zu folgen, sondern uns von hier aus direkt in die Berge zu schlagen. Hatten wir schon Minuten nach der Abfahrt vereinzelte Regentropfen auf dem Visier, so wurde es dann auch wie gewünscht wieder trocken. Und das, was man zuerst als sehr tiefliegende Wolken interpretieren konnte, waren bei näherer Betrachtung Rauchschwaden, denn überall wurden offenbar Gartenabfälle verbrannt.

Heute ist offenbar Erdrutschtag Mag jedoch die Luft auch trockener geworden sein, die Straßen waren es nicht, hier in der Gegend hatte es überall vor nicht so langer Zeit noch geregnet. Und das hatte auch andere Spuren hinterlassen, wie wir nach einer Weile feststellen mussten. Denn wir kamen an eine Stelle, wo die Straße mit Baufahrzeugen versperrt war. Davor hatte es nämlich einen kleinen Bergrutsch gegeben, neben jeder Menge brauner Erde lagen auch ein paar nette kindsgroße Felsen auf dem Asphalt, und von oben rieselte es immer noch ein kleines Bisschen weiter. Wir hatten vollstes Verständnis dafür, dass unter diesen Umständen keiner der Arbeiter Lust hatte, davon etwas beiseite zu räumen und sich damit in Gefahr zu begeben. Einer der Männer, die hier herumstanden, sagte allerdings zu uns die Worte "30 Minuten". Das wiederum hielten wir für hoffnungslos optimistisch, sofern er damit nicht gerade die Zeitspanne meinte, innerhalb derer noch weitere Klamotten nachkommen würden. Also planten wir die Route erneut um und nahmen eine andere Straße.

In höheren Lagen mit Nebel Hier ließ es sich wieder eine ganze Weile lang gut fahren, wenn man mal von der feuchten Oberfläche absah und dem Umstand, dass der Regen immer mal wieder dünne braune Erdstreifen auf die Straße gewaschen hatte. Allerdings trafen wir auf einer Passhöhe hoch oben in relativ dichten Wolken auf ein gelbes Sperrschild. Während wir noch darüber berieten, was wir denn jetzt machen wollten, hielt ein Italiener, der ein ganz passables Englisch sprach, mit seinem Auto an und erklärte uns, dass das nicht für die Route Richtung Piacenza gelte, sondern für einen Abzweig unterwegs. Nun ja, versuchen konnte man das ja. Und es schien tatsächlich so zu sein, wir passierten eine Kreuzung, deren rechter Arm wieder so ein Schild aufwies, und gelangten etliche Kilometer weiter in einen Ort. Dort lotste uns das Navi nach links, aber da stand schon wieder so ein Schild, diesmal jedoch mit anderen Ortsnamen. Der Italiener, der uns bis hier hinterhergefahren war, hielt neben uns und rief aus seinem Fenster: "It's the same!", bog dann aber in eine andere Richtung ab. Und prompt stießen wir nach 5 Kilometern mitten im Gebirge auf einen Trupp Bauarbeiter, der uns erklärte, dass es hier auf gar keinen Fall weiterginge. Aber die Männer hier erweckten zumindest den Eindruck, den Überblick über die Sperrungen hier in der Gegend zu haben, und zeigten uns, wo wir nun langfahren mussten. Das bedeutete allerdings ein ganzes Stück wieder zurück, über die letzte Ortschaft hinaus und fast den Pass wieder hoch, und dann ab nach Fontanigorda auf einer laut unserer Karte ganz kleinen Straße. Ulrike ließ jetzt Zeichen schlechter Laune erkennen, wozu zugegebenerweise auch die Tatsache beigetragen haben mag, dass ich vorhin beim Anhalten erst einmal die Kamera gezogen hatte und sie dort vorne für einen kurzen Moment mit drei auf sie einredenden Italienern alleingelassen hatte. Und die Aussicht, auf der kleinen Straße jetzt nicht nur auf Kurven, Gegenverkehr und Schlaglöcher, sondern heute auch noch auf den braunen Schlamm Acht geben zu müssen, war in der Tat nicht so richtig erbaulich. So ließ ich mir nun also das Navi geben und übernahm die Führung, so konnte sie einigermaßen entspannt hinterherfahren und musste sie sich nicht auch noch ganz so sehr auf den Kurvenverlauf konzentrieren. Und das Stück Rotwild, größer als ein Reh, das plötzlich auf der Straße stand, erschreckte dann auch denjenigen, der das wohl doch irgendwie verdient haben musste.

Das Problem mit dem Schlamm auf der Fahrbahn hatten wir danach zwar immer noch hin und wieder, aber die Straße wurde immer größer und besser, das Gebirge um uns herum jedoch auch langsam niedriger. Und dann vollzog sich innerhalb ganz weniger Kilometer, also gefühlt mit einem "Zack!", der Wandel von Berglandschaft zu total platt - wir waren in der Po-Ebene.

Die ließ sich ganz passabel durchfahren, es kamen nicht allzu viele Ortschaften. In Gegenrichtung allerdings gab es einen viele Kilometer langen Stau durchsetzt mit massenweise LKWs, das sah so aus, als sei irgendwo eine Autobahn gesperrt gewesen. Man kann offenbar auch nicht immer nur Pech haben. Für die Stadt Milano haben wir uns ausnahmsweise denn doch auf die Autobahn begeben, die sich hier kostenfrei befahren ließ. Dafür haben wir davon dann natürlich auch nichts gesehen, mir ist nur einmal eine alte Straßenbahn aufgefallen, die vor uns über eine Brücke fuhr. Als wir hinter Milano die Autobahn wieder verließen, war Como auch gar nicht mehr weit.

Allerdings waren hier wieder die Straßen nass, vor nicht allzu langer Zeit musste es noch geregnet haben, wir wurden schon wieder von ersten Tropfen getroffen, und der Himmel voraus sah auch gar nicht gut aus. Deswegen hielt Ulrike noch vor Como, das wir eigentlich als heutiges Mindestziel ausersehen hatten, am Albergo da Angela in Portichetto an, wo wir auch ein Zimmer bekamen. Hier bekam man allerdings nichts zu essen, der Wirt wies uns diesbezüglich an ein Restaurant 400 Meter weiter die Straße hinunter. Diese Angabe stimmte auch, war jedoch nicht erschöpfend: Direkt neben dem Albergo war ein japanisches Restaurant (welches bei unserer Ankunft noch geschlossen hatte), und wir kamen an einer Art Burger King und einem American Steak House vorbei. Aber das zählte möglicherweise für ihn alles nicht, weil nicht italienisch. Und so aßen wir stilecht Pizza und ergötzten uns auf dem Rückweg an einer Straßenbezeichnung "Via privata multiplastic".

Tagesstrecke 308 km, km 46554

Do, 17.09.2015

Saggy Pants Da es hier im Haus kein Frühstück gab, kamen wir heute richtig früh los. Aber etwas essen wollten bzw. mussten wir natürlich trotzdem. Schon beim Albergo war eine Filiale der großen amerikanischen Fast-Food-Kette mit dem gelben M ausgeschildert, und Ulrike meinte, das Frühstück dort solle gar nicht schlecht sein. Aber möglicherweise war das landestypisch unterschiedlich, hier jedenfalls gab es auch nur Kaffee bzw. Tee und verschiedene Sorten Croissants, davon aber immerhin 2 Stück für jeden. Beim anschließenden Gang auf die Toilette musste ich beinahe laut lachen, denn das Herren-Symbol an der Tür schien mir exakt auf die vermeintliche Hauptkundschaft dieses Hauses zugeschnitten, die darauf gemalte Strichmännchenfigur erinnerte mich jedenfalls sofort an die Saggy Pants-Mode gewisser Jugendlicher.

Bei der Planung der weiteren Route gestern Abend hatten wir auch überlegt, einen Abstecher über das Stilfser Joch zu machen. Die Wettervorhersage dafür zeigte jedoch für heute ein Schneeflockensymbol mit den dazugehörigen Temperaturen an. So ward es ein ganz schnell gefundener Konsens, auf diesen Schlenker doch lieber zu verzichten. Aber die schon ursprünglich vorgesehene Runde entlang von Comer See und Luganer See wollten wir beibehalten, sofern es das Wetter hier erlaubte. Und der Himmel sah zwar nicht schön aus, aber bisher war es trocken, und hin und wieder lugte sogar mal die Sonne hindurch, mit interessanten Sonnenstrahleneffekten zwischen den dunklen Wolken.

Tief fliegende Wolken Und das lohnte sich, denn den Comer See erreichten wir zunächst auf einer Straße, die hoch oben über den Ortschaften am Ufer hinwegführte und uns etliche tolle Aussichten bot. Am gegenüberliegenden Ufer wanderte eine tiefliegende Wolke den Berghang entlang. Das sah sehr interessant aus, aber hier konnte ich gerade nicht anhalten, dann kam ein kleiner Tunnel. Dahinter eine Stelle zum Ausscheren: Anhalten, Kamera heraus - die Wolke war weg, verschwunden in einer Bergfalte. Ich machte trotzdem ein Foto, Kamera in den Tankrucksack und weiter, 10 Häuser, die rechts die Sicht auf den See verdeckten, dann wieder freier Blick - die Wolke war wieder da! Aber solche tiefhängenden Wolkenfetzen bekamen wir im Verlaufe des weiteren Tages noch mehr als genug zu Gesicht.

Irgendwann verließen wir den Comer See wieder und stiegen links in die Berge, um den Luganer See zu erreichen. Auf dieser Seite ging das noch einigermaßen bequem von statten, wenn auch auf ziemlich kleiner Straße (SP13, weiß eingezeichnet auf unserer Karte). Jenseits des Passes jedoch ging das plötzlich ganz steil herunter, ein Schild sprach von 18% Gefälle. Aber wenn es noch einmal Probleme mit dem Grenzübergang zwischen Italien und der Schweiz gibt: Hier war die Stelle, die es zu fahren galt; Der Grenzübergang unten war komplett unbesetzt und wirkte tot.

Dafür war die andere Seite nicht mehr so spektakulär, und bald mussten wir auch das Regenzeug hervorholen. Andererseits freuten wir uns auch unbändig über die Schweiz: Endlich keine dieser ewigen Löcher im Straßenbelag mehr! Und kaum waren wir ein Stück gefahren in der Schweiz, wurde es richtig schön. Damit meine ich: Italien ist auch schön, aber auf eine herbe Art, während die Schweiz lieblich schön ist. Mir scheinen diese sanften Wellen von leuchtend grünen Wiesen in den Tälern zwischen den hohen Bergen charakteristisch für die Schweiz, in Italien habe ich das, wenn überhaupt, nur ganz selten gesehen.

Solche Radien machen richtig viel Spaß mit dem Motorrad Beim Aufstieg zum Maloja-Pass war es gerade mal wieder trocken genug, um anhalten, Pause und ein paar Fotos machen zu können. St. Moritz Bad wirkte aus unserer Richtung kommend sehr mondän, die ersten Häuser auf der rechten Seite waren der Kempinski-Komplex, was fast wie ein Schloss aussah. Weiter ging es auf gut ausgebauter Straße ohne große Steigungen oder Gefälle, auf der es sich prima fahren und etwas Strecke machen ließ.

Schließlich erreichten wir die Grenze nach Österreich, und weil es jetzt wieder feuchter zu werden schien (bisher sind wir ja nur recht moderat nass geworden), nahmen wir uns bald ein Zimmer im Hotel Edelweiß. Und wir taten gut daran, denn wir waren noch am Auspacken, als draußen schon kräftiger Regen rauschte.

Tagesstrecke 290 km, km 46844

Fr, 18.09.2015

Heute früh sah der Himmel freundlicher aus als gestern, die Wolken waren weiß statt grauschwarz, aber es schien frisch. Mein Bordthermometer zeigte bei der Abfahrt 18 °C an, eigentlich noch eine annehmbare Temperatur, aber wir waren ja inzwischen an 10 °C mehr gewohnt. Also verschwand zum ersten Mal seit der Abfahrt in Karlsruhe die winddurchlässige Cordura-Hose im Koffer, und das Leder wurde wieder hervorgeholt.

Auf dem Fernpass Zuerst ließ sich das ganz gut fahren, bei der Auffahrt zum Fernpass jedoch hatten wir mehrere LKW vor uns, an denen nur mit viel Stress vorbeizukommen gewesen wäre, wenn überhaupt. Deshalb beschloss ich oben, dass es jetzt Zeit für eine Pause war. Während wir da so neben unseren Maschinen standen, zockelte im Gefolge der LKW unter anderem auch ein Wohnmobil vorbei, das wir schon unten in Landeck kurz vor uns hatten und über dessen Besitzer wir sachte den Kopf geschüttelt hatten. Hinten auf einem großen Anhänger thronte nämlich eine BMW GS mit Aluboxen rechts und links, Topcase in der Mitte und offenbar auch sonst ausgerüstet mit vielem, was dem Touratech-Kunden lieb und teuer ist. Ein Reisemotorrad par excellence also war es, das da nicht selbst fahren durfte, sondern durch eine der schönsten Landschaften Europas gezogen wurde und dabei auch noch den Verkehr behindern musste.

St. Coloman Bei Füssen überquerten wir die Grenze nach Deutschland. Wenige Kilometer später bot sich rechter Hand ein fantastischer Blick auf Schloss Neuschwanstein, und kurz danach kamen wir an der auch sehr schönen Wallfahrtskirche St. Coloman vorbei. Überhaupt gefiel uns die Gegend hier, der sogenannte "Pfaffenwinkel" ganz gut: Leicht hügeliges Land mit hübschen kleinen Orten, zwischen denen es sich auf nicht zu großen Straßen entspannt fahren ließ. Das ging so sehr nett bis in die Nähe von Augsburg, da war der Asphalt plötzlich recht nass, drum haben wir vorsichtshalber die Regensachen wieder hervorgeholt.

Die Donau habe ich nicht gesehen, für den Rhein waren wir zu weit östlich, aber die Altmühl haben wir überquert nicht weit von der Stelle, wo ich während meines Studiums mal eine mehrtägige Faltbootfahrt begonnen hatte. Ansonsten hätte die Landschaft hier abgesehen von dem Fehlen von aus roten Backsteinen gebauten Bauernhäusern auch beinahe in Norddeutschland liegen können.

Als bei Ansbach ein Wegweiser nach Rothenburg ob der Tauber auftauchte, erinnerte ich mich an die mittelalterliche Stadt, die ich vor langer Zeit als Zivildienstleistender einmal besucht hatte, und beschloss spontan, dass es dafür mal wieder Zeit wäre. Kurze Rücksprache mit Ulrike, die dort noch nie war, und wir bogen ab. In der Hoffnung auf einen kurzen Weg zur Stadtbesichtigung fuhren wir bis an das Zentrum heran und sahen dort beim Hotel zur Linde ein Tourenfahrer-Partnersymbol. Ich ging hinein und wurde vom Wirt befragt, was er denn für mich tun könne.

"Mir ein Zimmer für zwei Personen und eine Nacht vermieten."

"10 Minuten zu spät für ein Zimmer für zwei, ich kann nur noch zwei für je einen anbieten."

Stadtmauer in Rothenburg ob der Tauber Da diese in Summe aber auch nur 60 € kosteten, waren wir einverstanden. Beim Auspacken fiel mir auf, dass auf dem Regal neben dem Bett nicht nur ein Exemplar der in Hotels häufig vorzufindenden Gideon-Bibeln auf Deutsch, Englisch und Französisch lag, sondern auch eines in japanischer Sprache. Der Grund dafür erklärte sich aber beim baldigen Gang in die Stadt, denn diese war voller Japaner (und die Häufigkeit, mit der in den Souvenirläden Dinge mit Aufdruck "Deutschland" angeboten wurden, weckte die Vermutung, dass viele der Gäste aus Asien in diesem Land auch nichts Anderes mehr zu sehen bekommen würden).

Nun kann man darüber diskutieren, in wieweit sie damit einen korrekten Eindruck von diesem unserem Lande bekommen können, dass ihnen ein sehr schöner Teil davon präsentiert wird, steht jedoch außer Frage. Schöne alte Fachwerkhäuser, dazwischen Kopfsteinpflasterstraßen mit nur wenigen Autos und eine Stadtmauer, auf der man oben fast einmal um den Stadtkern herumgehen konnte, haben auch uns sehr gut gefallen. Und da es zwischendurch manchmal leicht vom Himmel tröpfelte, waren auch nicht besonders viele Menschen unterwegs. So machten wir also noch einen sehr ausgiebigen Abendspaziergang, bevor es uns zum Essen zurück in unsere Unterkunft zog.

Tagesstrecke 395 km, km 47239

Sa, 19.09.2015

Aufkleber "Dies ist keine BMW"Um 700 Uhr wurde ich von Kirchenglocken geweckt, und der Blick aus dem Fenster erfreute das Herz: Sonne, blauer Himmel! Nach dem Aufschließen der Garage zeigte der Wirt "Kerschi" mir stolz seine Sammlung Reisemotorräder (KTM und ältere Yamaha Ténérés) und war ganz begeistert von dem Aufkleber "Dies ist keine BMW" auf meiner Maschine. So einen wollte er auch haben, und ich konnte ihm wenigstens ungefähr sagen, wo man den bekam.

Zeitgleich mit uns machten sich zwei Männer mit Verdener Kennzeichen reisefertig, und einer davon fragte mich: "Wie fährt sich denn die Ténéré so zu zweit?" Ulrike stand, die Hände am Lenker ihrer Suzuki, direkt dahinter, und nach einem Moment der Verblüffung antwortete ich: "Die hier fährt nicht zu zweit." Wir schnackten noch kurz über die Wetteraussichten (es sollte Regen geben), aber nach diesem Einstand war ich reservierter, als ich es wohl sonst gewesen wäre.

Kurz hinter Würzburg bewahrheitete sich die Vorhersage, und die Regensachen mussten wieder mal zum Einsatz kommen. Danach leitete uns das Navi nicht wie gedacht auf die nach Fulda ausgeschilderte Route per Bundesstraße, sondern auf kleinere Straßen über Burgsinn und Jossa. Das war prinzipiell eine prima Gegend zum Motorradfahren, trockener wäre es allerdings deutlich schöner gewesen. Aber der Regen hörte bald auf, und nach Fulda kamen wir trotzdem noch.

Bei der Einfahrt in die Ortschaft namens "Sieglos" sinnierte ich darüber nach, ob es denn wohl auch eine Fußballmannschaft gibt, welche den Ortsnamen in ihrer Vereinsbezeichnung trägt, "1. FC Sieglos" oder so. Dabei war ich wohl einen Moment lang etwas abgelenkt und habe erstens versäumt, vollständig vom Gas zu gehen, und zweitens die Blitzsäule auf der linken Seite nicht wahrgenommen, bis es zu spät war. Aber das Gerät nahm offenbar nur Bilder von vorne auf, jedenfalls habe ich kein Ticket dafür bekommen.

In Bad Hersfeld war es Zeit für einen kleinen Snack, da kam uns ein Autohof gerade recht. Da es uns nur wenig interessierte, ob diese Fast-Food-Kette auch in Deutschland dieses Saggy-Pants-Symbol auf der Herrentoilette verwendete, gingen wir in die Tankstelle, auch dort gab es einen Bistrobereich mit Sitzgelegenheiten. Doch auch hier fand sich eine Sache zum Schmunzeln auf dem Abort, Ulrike kam von dort zurück und berichtete, bei den Damen habe es geheißen: "Ein besonderer Service unseres Hauses: Desinfizieren Sie Ihre Klobrille selbst". Das, was sich erst einmal anhörte wie ein Nicht-Service, wurde auch bei den Herren angeboten, damit war offenbar die Bereitstellung des Desinfektionsmittels gemeint, auf dessen Spender sich dieser Hinweis befand.

Schließlich erreichten wir das Werratal und damit eine Gegend, die wir vom Kajakfahren her schon ganz gut kennen. Und danach wurde die Landschaft dann norddeutsch, für den Rest ging es dann doch auf die Autobahn. Den nächsten Regen, der uns von Hildesheim bis Allertal begleitete, konnte man rechtzeitig schwarz in der Ferne drohen sehen, so dass er uns nicht unvorbereitet traf. Gleiches galt auch für die letzten Kilometer vor unserem Ziel. Die Regensachen hatten wir auf der Autobahn sowieso angelassen, allerdings hatten wir hier zunächst noch die Hoffnung, es noch rechtzeitig nach Hause zu schaffen. Aber am Berliner Tor öffnete der Himmel seine Schleusen, und wir bekamen in den letzten fünf Minuten noch einmal richtig Wasser aufs Haupt, so dass wir die Maschinen vor dem Haus abstellten, uns nach drinnen flüchteten und erst eine Viertelstunde später abluden.

Tagesstrecke 588 km, km 47827
Gesamtstrecke 7143 km

Literatur

[1] Italia, Carta stradale e turistica, 1:800.000, Touring Editore s.r.l, Milano 2013, ISBN 978-88-365-5994-7

[2] mehrere Artikel aus der Zeitschrift "Der Tourenfahrer" (und evtl. auch anderen Motorradzeitschriften), die leider noch unterwegs der Trocknung nasser Motorradstiefel zum Opfer gefallen sind, bevor ich sie hier habe aufnehmen können

[3] Gontscharow, Iwan A.: Die Fregatte Pallas, Bertelsmann Verlag, Gütersloh, keine Jahresangabe
Unterwegs gekaufte Reiselektüre:
Bericht über eine russische Expedition 1852 bis 1854 nach Japan mit dem Ziel, Handelsbeziehungen zum damals noch völlig abgekapselten Land aufzubauen.


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